Terra Nova

Editorial 22.7.2021: Nach dem Regen

Podcast der Woche – Editorial „Nach dem Regen“ – gelesen von Henry Sperling

„Nicht der Fluss, der über die Ufer tritt, ist gewalttätig, sondern die Mauern, die ihn einengen.“
Wilhelm Reich

                                                                                                                                                                                                                                        
Lieber Terranaut, liebe Terranautin,

Als ich vor einigen Wochen in Deutschland ankam, war zumindest das Land Brandenburg so ausgedörrt, dass Bäume im Wald vertrockneten und wir um Regen gebetet haben. Als dann der Regen so üppig fiel und Wälder und Gärten hat aufatmen lassen, war die Freude erst mal groß – bis wir hörten, was er in der Eifel und anderen Regionen angerichtet hatte. Die Bilder von gigantischen Kratern, Schlamm und Abbruchkanten, wo vorher noch Normalität und Alltag war, werden noch eine Weile bei uns bleiben. Die Botschaft ist wohl angekommen: Nicht nur in fernen Kontinenten, sondern auch hier bei uns rebelliert die Natur. Sie zerstört Existenzen, Dörfer, Brücken und jede Illusion von Sicherheit. Wenn schon ein paar Stunden Regen schon so viel anrichten können, was ist diese Sicherheit dann wert, auf die wir so viel gesetzt haben? Nicht viel. Wir können die Konsequenzen unseres eigenen Tuns auf Dauer nicht aussperren. Ich spreche hier nicht nur von der Klimakatastrophe durch CO2-Ausstoß. Ich spreche auch davon, wie dumm und ignorant wir Wasser behandeln: Wir benutzen es als Kloake, zwängen es in enge Flussbetten, nehmen ihm die Bewegungsfreiheit, machen es zur Ware und spekulieren weltweit damit. Wir nehmen ihm die Möglichkeit, in die Erde zu sinken und zu regenerieren. Wir zerstören die Wasserkreisläufe und wundern uns, wenn Klima und Regenfälle völlig aus dem Takt kommen, wenn Dürren und Fluten sich abwechseln.
So wie das Wasser behandeln wir alle Lebenskräfte, auch den Eros: Nur in engen, vorgebahnten Betten dürfen sie fließen. Kein Wunder, dass es zu Ausbrüchen kommt. Wenn wir die Klimakrise überstehen wollen, müssen wir lernen, mit dem Leben anders umzugehen. Auch mit dem Leben in uns. Das zu ändern, ist unsere wichtigste Lebensaufgabe, damit wir mit Natur und Erde zu einer authentischen Kooperation kommen.

Bis dahin können wir die kommenden Wetterextreme wohl nicht mehr verhindern. Aber wir können uns auf sie vorbereiten und ihre Folgen abmildern. Regen, auch Starkregen, führt nur zu Überschwemmungen, wenn er nicht dort in die Erde einsickern kann, wo er fällt. Die besten Voraussetzungen für dieses Einsickern bietet beschatteter, humoser Waldboden. Wenn der fehlt – durch Abholzung oder Waldsterben – können Wasserretentionsmaßnahmen eine Weile helfen: Regendämme, terrassierte Hänge, Swales, Teiche, Seen, Keyline-Design, ganzheitliches Weidemanagement und andere Maßnahmen helfen dabei, den Boden zu öffnen, Regenabflüsse zu verlangsamen und den zerstörten Wasserkreislauf wieder in Gang zu bringen. In Tamera so wie an einigen anderen Orten der Welt helfen solche Wasserretentionslandschaften, sowohl Dürren als auch Überschwemmungen zu verhindern bzw. ihre Folgen abzumildern. In Rajasthan konnte auf diese Weise eine ganze Region wieder besiedelt werden, mehrere Flüsse fließen wieder.

Nach dem Regen ist vor dem Regen. Jetzt können sich Menschen, Dörfer, Gemeinschaften zusammenschließen, sich informieren, aktiv werden und Verantwortung übernehmen. Vielleicht bilden sich Flussparlamente wie in Rajasthan, wo die Anwohner vielen, kleinen, dezentralen Maßnahmen mit der Wasserretention beginnen.

Bitte sagt uns: Wie habt ihr die Flutkatastrophe erlebt? Was denkt ihr darüber, wie können wir ähnliche Dinge in Zukunft verhindern? Macht ihr mit beim Aufbau einer globalen Wasser-Aktion?

Herzliche Grüße

Christa Leila 

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Prinzipien einer Wasserretentionslandschaft

Von Bernd Walter Müller

Wüstenbildung, Dürren und Überschwemmungen haben eine gemeinsame Ursache: Das Gleichgewicht des Wasserhaushalts ist schwer gestört durch Abholzung, industrielle Landwirtschaft und Flächenversiegelung für den Bau von Häusern, Straßen und Plätzen in den urbanen Gebieten. Erde, die nicht mehr von Pflanzen bedeckt wird, erhitzt sich und verliert die Fähigkeit, Wasser aufzunehmen. Der abfließende Regen nimmt den Humus mit sich. Der Erdboden trocknet aus. Die globalen Wasserreserven der Erde und die Fruchtbarkeit der Böden nehmen immer weiter ab. Wenn wir weiterhin mit genügend Nahrung versorgt werden wollen, müssen wir Menschen den Wasserhaushalt wieder in Balance bringen. Eine Wasserretentionslandschaft ist ein Modell für natürliches, dezentrales Wassermanagement und für die Renaturierung zerstörter Ökosysteme. Sie ist die Grundlage, um Gegenden, die von Wüstenbildung bedroht sind, wieder für Aufforstungen, für die Landwirtschaft und den Gartenbau nutzen zu können. Sie ist auch Teil eines umfassenden Modells für Nachhaltigkeit, in das Wasser, Nahrung, Energie und Gemeinschaft einbezogen sind.
Einige Grundsätze der Wasserretentionslandschaft:

  • Regenwasser darf nicht oberflächlich ablaufen. Regenwasser sollte gleich, nachdem es auf die Erde gefallen ist, die Möglichkeit haben, in den Erdkörper einzudringen.
  • Kein Regenwasser und kein Abwasser soll das Areal verlassen. Jegliches abfließende Wasser soll aus Quellen stammen: Sobald die Grundwasservorräte wieder aufgefüllt sind, wird es für den menschlichen Gebrauch genügend Wasser aus Quellen oder Brunnenwasser geben.
  • In den meisten Fällen werden die Erde und der Erdkörper nicht mehr in der Lage sein, das Wasser des Regens dort aufzunehmen, wo er fällt. Deswegen wenden wir in einer Wasserretentionslandschaft verschiedene Methoden an, um das Einsickern wieder zu ermöglichen und so den Wasserhaushalt zu regenerieren. Zu diesen Methoden zählen der Bau von Retentionsräumen (Teichen, Seen), der Terrassenbau, die Minimierung versiegelter Flächen, Auffangmöglichkeiten für abfließendes Wasser entlang der Straßen, das Anlegen von Gräben („swales“), permanente Bepflanzungen, das Ausbringen von Mulch, angepasstes Weidemanagement („Holistic Grazing Management“) und Aufforstungen.
  • Werden diese Prinzipien verstanden und in die Planung und das Management integriert, kann Wasser ganzjährig zur Verfügung stehen, die Erosion wird gestoppt, die Vegetation gekräftigt. Erdrutsche werden verhindert, Überschwemmungen gemildert. Bäche beginnen wieder konstant zu fließen. Das Risiko von Bränden wird verringert. Die landwirtschaftliche Produktion ist gesichert.
  • Ein nachhaltiges Wassermanagement ist eine der wichtigsten Maßnahmen für die Regeneration der Natur.

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Hier kannst du den kompletten Text lesen und herunterladen.

Lies hier einen Artikel von Leila Dregger: Wasser – Quelle des Lebens und nicht des Profits

Schau hier diesen kurzen Film mit einem Interview von Sepp Holzer über die Wasserretentionslandschaft von Tamera

Der Ring der Kraft mit Sabine Lichtenfels vom 19.7. zum Thema: Was ist deine Antwort auf die Klimakrise?

Du findest alle Studientexte, Podcasts und den Einstieg zum Onlinekurs auf unserer Plattform: terra-nova.earth


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