Terra Nova

Editorial 16.9.2021

„Der Notruf von Mensch und Erde ist unüberhörbar geworden. 
Wir wollen alles tun, um darauf mit einem globalen Systemwechsel zu antworten. 
Es gibt eine Kraft, die stärker ist als alle Gewalt.“
Dieter Duhm


Lieber Terranaut, liebe Terranautin
,

Vor einigen Tagen habe ich das Ahrtal besucht. Zwei Monate nach der Flutkatastrophe kann man noch deutlich sehen, was für eine Verwüstung das Wasser dort angerichtet hat. Die Flut hat sämtliche Brücken weggeschwemmt, Städte und Dörfer unter Wasser gesetzt, Straßen weggerissen, Häuser zerstört, Bäume entwurzelt, Friedhöfe durchgepflügt. Immer noch stehen unzählige Autowracks an den Straßenrändern. Und am Ufer des normalerweise so kleinen Flüsschens Ahr brennen zahlreiche Kerzen für Menschen, die hier ertrunken sind. Die Helfer und Bewohner werden noch lange damit beschäftigt sein, die Zeichen der Zerstörung wegzuräumen. Mich erinnerte die ganze Szenerie an ein Nachkriegsgebiet – und das ist es für mich auch: Es sind Zeichen eines Krieges, den wir Menschen gegen die Natur und das Leben führen. Und mit welcher Kraft die Erde sich wehrt: Wenige Tage Regen reichten aus, um eine solche Zerstörung hervorzurufen! Klimaforscher sagen voraus, dass diese extremen Wetterphänomene in den nächsten Jahren laufend zunehmen werden. Was wollen wir tun? Wollen wir weiterhin Raubbau an der Erde, am Leben, an uns selbst und unseren Kindern betreiben? Oder wollen wir alles dafür tun, um eine andere Richtung einzuschlagen? Schaffen wir es, so zu handeln, als wären wir wirklich alle miteinander verbunden, wie Organe in einem Organismus? Um nichts weniger geht es.

Ist diese Erde noch zu heilen? Ja, aber nur durch einen kompletten Systemwechsel im Denken und Handeln, im Zusammenleben und -wirken. Dazu ein Zitat:

„Wir wissen, dass ein Vorhaben mit dem Ziel einer globalen Heilung weit außerhalb dessen steht, was menschenmöglich erscheint. Doch man möge bedenken, dass vor nur wenigen Jahrzehnten eine Reise zum Mars oder Hubble Teleskope im Weltall ebenso undenkbar waren. Auf dem Gebiet der Technik wagt sich der Mensch an große Vorhaben. Warum sollten nicht auch auf dem Gebiet einer sozialen Veränderung große Vorhaben möglich werden? Wir können heute geistige Grenzen verschieben und Wege erkennen, wie eine relativ kleine Zahl von Menschen für alle eine Zukunft ohne Angst, ohne Gewalt und Grausamkeit auf der Erde einleiten könnte. Wir sind überzeugt davon: es ist möglich! Mensch und Natur sind heilbar.“

Diese Sätze stammen aus der Einladung zum „1. Choriner Friedenssymposium – Der Plan der Heilungsbiotope“ vom 11.-14. November 2021. Ein Team aus Tamera und Chorin lädt dazu ein, den „Plan der Heilungsbiotope“ kennenzulernen, zu überprüfen und wenn möglich an seiner Verwirklichung mitzuarbeiten. Vorgedacht und entwickelt von Dieter Duhm, basiert er auf nachvollziehbaren Denkschritten, auf Erkenntnissen der modernen Wissenschaft und auf Jahrzehnten an Erfahrung im Zusammenleben von Menschen. Mehr Informationen findest du hier.

Zum Thema Systemwechsel habe ich einen Studientext von Dieter Duhm ausgewählt: „Alles Äußere kommt aus einem Inneren.“

Herzlich
Christa Leila

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Foto: Kymatische Darstellung eines Wassertropfens

Alles Äußere kommt aus einem Inneren

von Dieter Duhm (Auszug aus dem Text: Systemwechsel)

Alles Äußere kommt aus einem Inneren. Die ökologische Umweltkrise und die menschliche Inweltkrise sind zwei Seiten desselben Gesamtproblems, sie können nur in dieser Gesamtschau verstanden und gelöst werden. Um zu verstehen, was im Äußeren passiert, müssen wir verstehen, was im Inneren einer Gruppe passiert.
Das Drama der ganzen Menschheit hat seinen inneren Abdruck in den unterschwelligen Konflikten, die es auch in den besten Gruppen gibt: Konflikte um Sexualität, Liebe, Anerkennung oder Macht. 
Die meisten politischen Bewegungen und Gemeinschaften der letzten Jahrzehnte sind nicht an äußeren Gegnern, sondern an diesen inneren menschlichen Konflikten gescheitert.
Das wesentliche Ziel ist nicht die Überwindung eines äußeren Gegners, sondern die Überwindung einer historischen Vergangenheit, die wir alle als traumatisches Erbe in uns tragen. Wir brauchen dafür eine Kraft, die stärker ist als die Vergangenheit. Die Kraft einer realen Utopie, welche die Menschheit zusammenführt und auf neue Weise mit der Natur verbindet. Diese Utopie ist kein bloßer Wunschtraum, sondern sie existiert real im inneren Bauplan des Lebens.
Es gibt im Menschen einen inneren Kern, der durch keinen Krieg zerstört werden kann. Dieser Kern ist überall derselbe, er enthält eine heilende Information von besonderer Art. Jeder Mensch trägt diese Information in seinen Zellkernen, aber im Laufe der geschichtlichen Entwicklung wurde diese Information durch Verfolgung und Gewalt so deformiert, dass sie nicht mehr erkennbar war.
Der Krieg der letzten Jahrtausende ging durch die Menschheit wie eine historische Walze, die fast alles niedergedrückt hat, was an den ursprünglichen Werten von Gemeinschaft, Wahrheit, Vertrauen und Heimat im Menschen angelegt war.
Wenn wir heute versuchen, diese Werte neu zu beleben und in kreative Entwicklungen zu übersetzen, dann erhalten wir ein neues Bild unserer anstehenden politischen und menschlichen Aufgaben. Die Kerninformation für die globale Heilung steht außerhalb aller bisherigen politischen oder ideologischen Systeme, sie enthält in sich eine intimste Verbindung der politischen Dimension mit einer erotisch-sexuellen Dimension und einer geistig-religiösen Dimension. Ich weiß natürlich, wie fatal und missverständlich solche Vokabeln in unserer Zeit klingen, als wollten sie ablenken von dem weltweiten Kampf, der heute für eine neue Erde geführt werden muss. Aber sie sind keine Ablenkung, sondern eine Hinlenkung.
Alle erwachenden Menschen, die heute Verantwortung für ihre Gemeinschaft und das Schicksal aller Mitgeschöpfe übernehmen wollen, kommen an dieser Neuorientierung im Inneren des globalen Herzens nicht mehr vorbei. (…)
Infolge meiner langen Arbeit in Gemeinschaften weiß ich heute, dass der politökonomische und ökologische Systemwechsel, den die Menschheit braucht, nur gelingen kann, wenn innerlich die Weichen neu gestellt werden: Systemwechsel in der Liebe. Systemwechsel in unseren Beziehungen zu Tieren und allen Mitgeschöpfen, Systemwechsel in der „Religion“ im Sinne einer Wiedereingliederung in das größere Ganze. Und ein Systemwechsel im Denken: Wie können wir die Welt tatsächlich und für immer verändern? (…)
Wir müssen aber begreifen, worum es eigentlich geht, wenn von Liebe und Heimat die Rede ist. Das sind keine kitschigen Vokabeln, sondern revolutionäre Kernbegriffe einer neuen Lebensform.
Angstfreie Heimat unter Menschen, Heimat in der Natur und Heimat in der Welt. Die moderne Revolution besteht darin, diese Kernbegriffe zu erkennen, anzunehmen und in neuen Formen des Zusammenlebens zu verwirklichen. Dafür braucht sie den Blick auf die innere Kraft eines tiefen Vertrauens, welches alle zusammenhält. In diesem Blick gibt es keine Feindschaft, keine Angst und Gewalt. Hier wirkt tatsächlich eine „Kraft, die stärker ist als alle Gewalt.“ In diesem Blick öffnet sich ein Vorhang, wir erkennen eine konkrete Utopie, die Realutopie der kommenden, nachkapitalistischen und nachapokalyptischen Welt. Dieser Systemwechsel ist eine geistige Transformation, eine Neugeburt des Lebens unter einem globalen Netzwerk von Vertrauen, Solidarität und Zusammenarbeit. Ja, es geht um eine Neugeburt, die Welt ist schwanger, und wir sind es mit ihr.

Lies den ganzen Text „Systemwechsel“ hier.


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