Terra Nova

Der kosmische X-Faktor

Christo Meierhöfer, seit 14 Jahren Karma Yogi im Politischen Ashram von Tamera

von Christo Meierhöfer

„Eine neue Welt wird geboren. Es ist nicht das Alte, das sich wandelt, es ist eine NEUE WELT, die geboren wird.“

Das sagte in den 1950er-Jahren eine bemerkenswerte Frau, die leider viel zu wenig bekannt ist: die Französin Mira Alfassa (1878-1975), genannt „Die Mutter“. Sie war (lt. Wikipedia) der erste Mensch aus dem Westen, der in Indien als Guru verehrt wurde. Sie war Visionärin, spirituelle Pionierin und Gründerin der Zukunftsstadt Auroville in Südindien. Diese wackere Evolutionsagentin betonte das Neue so sehr, weil sie die Geburt dieser Neuen Welt am eigenen Leib bzw. in ihrem eigenen Körper-Geist-System spüren konnte. Und sie fügte hinzu:

„Wir befinden uns mitten in einer Übergangsperiode, in der beide Welten sich überlappen; wo noch die eine fortbesteht, für das Normalbewußtsein allmächtig und dominant, während die neue auf leisen Sohlen herannaht, ganz still und unmerklich – unmerklich in dem Sinne, daß sich äusserlich gesehen nicht viel verändert… wenigstens für den Moment… und daß die Veränderung für die meisten Menschen unsichtbar ist. Und dennoch geht sie vor sich, nimmt zu.“

Seit jener Zeit ist viel geschehen. Die negativen Auswirkungen der alten Welt mit ihrem alten Denken werden immer spürbarer und verstärken den transformatorischen Druck auf die Menschheit. Aber auch die subtile Kraft der Neuen Welt ist intensiver und präsenter geworden und wird von immer mehr Menschen wahrgenommen. Sie kommt zwar auf leisen Sohlen daher, ist aber so kraftvoll und geschmeidig wie ein mächtiger Tiger… Wir haben es hier mit einer sehr feinen und doch sehr starken kosmischen Kraft zu tun, die in der Luft ist, in unserem Blut fließt, mit unserem Herzen pocht und leise aber stetig an die Pforte unseres Bewusstseins klopft – und darauf wartet, daß wir das Tor öffnen. In jedem von uns möchte sie geboren werden!

Sri Aurobindo, (1872-1950, Schöpfer des Integralen Yoga, spiritueller Partner der „Mutter“) nannte diese neue Geistkraft, die sich im Menschen manifestieren will, das Supramental (supra lat.: darüber) – also ein Bewusstsein, das oberhalb oder ausserhalb unseres normalen Bewusstseins existiert. Er betonte, daß das Supramental nicht nur höherer Geist, sondern auch schöpferische Kraft ist. Man kann das, was da herabkommen will, auch einfach den X-Faktor nennen, damit keine falschen Bilder oder Assoziationen entstehen. Es ist das Unbekannte, und kein Mensch weiß genau, wie es aussehen wird, wenn dieses kosmische Geschehen immer spürbarer auf der Erde wirkt. Wir wissen nicht, welche Trümpfe der Welten-Geist noch im Ärmel hat.

Die Manifestation des Supramental ist nicht nur für unseren Planeten, sondern auch aus kosmischer Sicht ein einmaliges Ereignis! Da das Welten-All unendlich und unendlich belebt ist, kann man zwar davon ausgehen, daß sich die supramentale Transformation schon auf Myriaden von Planeten vollzogen hat. Doch da auf jedem Planeten die geistig-energetisch-materiellen Bedingungen einzigartig sind, ist auch der eigentliche Vorgang der Transformation jedesmal einzigartig. Wichtig zu wissen für uns Menschen ist, daß der Vorgang etwas Kosmisch-Natürliches ist und daß er unmittelbar mit uns zu tun hat! Wir müssen nämlich mithelfen bei unserer eigenen Neu-Geburt.

Die höher-dimensionale kosmische Kraft muß auf jedem Planeten in eine für seine Biosphäre „verdaubare“ Schwingung verwandelt werden. Dazu benötigt sie eine Anzahl von genügend entwickelten Wesen, die ihre Geist-Körper auf die Frequenz des höheren Bewußtseins einstimmen und die als Transformatoren für die anderen Organe der jeweiligen Biosphäre dienen. Auf der Erde ist das genau jetzt die Aufgabe des Menschen. Deshalb nannte Sri Aurobindo seine Methode auch manchmal „Yoga des Erdbewusstseins“. Der Keimling der Zukunft braucht uns als Humus, um Wurzeln zu treiben und sich zu entwickeln. Während wir als Nährboden für das Wachstum der Neuen Welt dienen, werden auch wir verwandelt, geistig und körperlich. Um zu einem freien Kanal für das kosmische Novum zu werden, um das zu spüren was sich gerade jetzt auf der Erde manifestieren will, müssen wir uns frei machen von uns selbst, das normale Mental zur Ruhe bringen und loslassen von alten Mustern und Vorstellungen, – besonders von der hartnäckigen Annahme, wir wüssten schon alles über uns, das Leben und den Kosmos. Lassen wir uns stattdessen von der Unendlichkeit überraschen! Wir können von den Kinder lernen, die noch empfänglich sind für das fortwährende Wunder der Existenz und die alles neugierig und spielerisch erforschen. Wir können einen Sinn entwickeln für die Möglichkeiten, die im Augenblick liegen, für das, was jetzt auf der Erde geboren werden will. Wir haben geistig-energetische Fühler, die aktiviert werden können, um die Schwingungen der evolutionären Welle auf vielen Ebenen zu empfangen, zu erleben und schließlich auch zu steuern.

Wir sind also eingeladen, aktiv an der Evolution teilzunehmen, indem wir uns ganz öffnen für das Neue, indem wir Wache halten an der Pforte der Wahrnehmung und indem wir Antennen entwickeln für eine allgegenwärtige BewußtseinsKraft, die uns ständig leise auffordert, aufzuwachen und sie wahrzunehmen. So wie ein Liebhaber das Objekt seiner Liebe umkreist und alles tut um seine oder ihre Aufmerksamkeit zu erlangen, so umkreist und umwirbt uns der kosmische Geist der Evolution. Wenn es uns gelingt, das Flüstern zu hören und uns dem Werben hinzugeben, dann ist das Leben augenblicklich ein einziges großartiges Abenteuer und ein überwältigendes Wunder. Das heißt nicht, daß man kein Bewußtsein mehr hat vom Schmerz der Welt. Man ist sich „dem Schrecken der Situation“ sogar noch bewußter als normalerweise, weil man gleichzeitig auch so klar die strahlenden Möglickeiten der Zukunft sieht, die die Menschheit ergreifen könnte wie reife Trauben, wäre sie nur fähig zu sehen

Diese besonderen Zustände der supramentalen Resonanz werden von immer mehr Menschen temporär erlebt. Meines Wissens nach wandelt aber noch kein 100%ig supramentaler Mensch auf unserem Erdenrund. Wenn es so einen Menschen gäbe, dann würde sich sofort das ganze planetarische Spiel verändern – es gäbe keine zusätzlichen Regeln, die Karten würden nicht neu gemischt, sondern es gäbe ein neues, völlig anderes Spiel!

Die Möglichkeit dieser Transformation ist für jeden von uns ganz nah: „Das Supramental ist voll und ganz da, alles hängt nur davon ab, was zu berühren wir imstande sind. Hätten wir genug Vertrauen, wären wir in einer Sekunde transformiert… Allerdings muß dieses Vertrauen bis in die Zellen reichen.“ Satprem (Sekretär und Schüler der „Mutter“)

Der holistische Arbeitsansatz von Sri Aurobindo und der „Mutter“ war: Ein Körper ist alle Körper. Transformiert man einen Körper transformiert man alle Körper. Um das Supramentale herunterzuladen, zogen sie sich zurück, machten sich selbst zu Laboratorien und experimentierten jahrzehntelang zum Wohle der Menschheit. Vielleicht brauchen wir heutzutage einen zusätzlichen Ansatz. Vielleicht braucht das, was jetzt geboren werden will, neue Arten von kommunitären Werk- und Wirkstätten. Kein mönchisches Einzelkämpfertum mehr, sondern die leiblich-geistige Vernetzung mit Gleichgesinnten. Kein Ausschließen von bestimmten Aspekten des Lebens mehr (wie z.B. der Sexualität) sondern die Integration aller Formen der Lebensenergie. Vielleicht braucht man die kollektive Intellligenz und Verschiedenheit einer bestimmten Anzahl von Menschen, um den supramentalen Keimling, der von Aurobindo und der „Mutter“ auf die Erde geholt wurde, gemeinsam zu hegen und zu pflegen, damit schließlich die einzigartige, strahlende Frucht erscheint, die die Krönung des irdischen Lebens sein wird und zugleich der Beginn eines Neuen Zeitalters. Vielleicht braucht es viele kleine Gruppen, die daran arbeiten, das Neue zur Geburt zu bringen, ein Netzwerk von kosmischen Hebammen. Ich weiß, daß solch ein Netzwerk im Enstehen ist, aber es braucht mehr Menschen, die daran arbeiten. Die Erde braucht dringend Arbeiter im Weinberg des Lebens!

Es geht darum, an jedem Tag unseres Lebens, in jedem Augenblick an der Manifestation einer Zukunft zu arbeiten, in der ein globales Erwachen und eine kollektive Transformation stattfinden kann. Diese Zukunft wird voller Wunder sein, die wir nur erahnen können. Ein Kleinkind, das gerade seine ersten Schritte macht, breitbeinig schwankend wie ein betrunkener alter Seemann, kann sich noch nicht das Maß an Körper-Geist-Koordination vorstellen, das es erreicht haben wird, wenn es wenige Jahre später mit dem Fahrrad eine steile, kurvenreiche Straße hinuntersaust. In der DNS eines Babys sind die Möglichkeiten des voll entwickelten Körpers jedoch schon vorhanden, sozusagen noch träumend. Genauso ist tief im Menschheitsleib die machtvolle Vision einer lichtvollen Zukunft gespeichert. Die damit verbundenen Kräfte befinden sich im einem angeregten Zustand, bereit, in den Zustand der Manifestation zu springen und ihr heilsames Werk zu tun – in uns und im gesamten irdischen Lebensnetz. Unsere Aufgabe ist eigentlich ganz einfach: den Schalter zur Aktivierung finden und drücken… genauso wie es Joseph von Eichendorff so schön beschrieben hat:

Schläft ein Lied in allen Dingen
die da träumen fort und fort,
und die Welt hebt an zu singen,
triffst du nur das Zauberwort.“

 

 

 

 

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