Terra Nova

Das kollektive Trauma – und der Gottespunkt im Menschen

Von Dieter Duhm

Wissen wir, dass unsere ganze Kultur, unsere Staaten und Nationen aus Krieg hervorgegangen sind? Überall, wo heute ein Staat ist, gab es einmal ein anderes Volk und ein Land, das erobert wurde, da waren gläubige Menschen, Liebespaare und spielende Kinder.
Die Wirtschaft der westlichen Länder lebt unter anderem von Rüstungsindustrie und Waffenhandel. Wir leben in einer Gesellschaft, die sich aus wirtschaftlichen Gründen den Frieden nicht leisten kann. Wenn Deutschland auf die Kriegswirtschaft verzichten würde, würden Millionen Menschen arbeitslos. Sie alle könnten mithelfen am Aufbau einer neuen Friedenswirtschaft.
Krieg ist die Folge einer ungeheuerlichen Verirrung. Unsere Nachfahren werden nicht verstehen können, dass Menschen tatsächlich aufeinander geschossen und noch viel Schlimmeres getan haben. Eine neue Kultur ist definitiv eine Kultur ohne Krieg.
Wir sind unterbewusst auf die Informationsmatrix des Traumas eingestellt. Wir leben im unterbewussten Szenario einer allgegenwärtigen Gefahr, gegen die wir uns wehren müssen. Die Welt erscheint wie eine anonyme Gerichtsbarkeit, vor der wir uns schützen und rechtfertigen müssen. Es gibt ein kollektives Gefühl, verurteilt zu werden. Hinter allen seelischen Fehlentwicklungen, allen Neurosen und Psychopathien steckt das große kollektive Trauma, eine Krankheit der ganzen Menschheit.
Infolge des großen Traumas kommt es im zwischenmenschlichen Nahverkehr zu typischen Störungen, die bei fast allen Menschen nach einem ähnlichen Strickmuster ablaufen. Es sind
unterbewusste Glaubenssätze, durch die der latente Krieg im zwischenmenschlichen Untergrund dauernd neu erzeugt wird.

 
Ein Beispiel:
Viele Menschen leben in der unbewussten Vorstellung, von anderen nicht akzeptiert zu werden. Die Folge ist, dass sie die Reaktionen ihrer Gesprächspartner in diesem Sinne deuten. Ein Lob kann dann als Ironie aufgefasst werden, ein nachdenklicher Blick als Verurteilung, eine Frage als Aggression, ein guter Vorschlag als Kritik etc. Dadurch entstehen im Untergrund der Kontakte heftige Störfelder, die oft nicht durchschaut werden und dadurch bis zum Hass führen können.
In vielen politischen Gesprächsgruppen erlebt man Diskussionen, die immer länger und immer sinnloser werden, weil sie untergründig gesteuert werden von den Schmerzfeldern unterbewusster Glaubenssätze, die gar nichts mit dem anstehenden Sachthema zu tun haben.
Besonders fatal werden derlei neurotische Deutungsmuster in den Liebesbeziehungen. Wenn sich zwei Liebespartner in den Schlingen solcher Missverständnisse verfangen haben, dann gibt es meistens keinen Ausweg mehr, weil jede rationale Korrekturmöglichkeit verschlossen ist.
Wieviele Beziehungen scheitern an den Verletzungen, die sich die Partner im Deutungsmuster der Nicht-Akzeptanz gegenseitig zufügen! Und wenn sie sich gründlich zerstritten haben, findet die Vorstellung der Nicht-Akzeptanz eine offensichtliche Bestätigung. Das ist ein krasses Beispiel der „self-fulfilling prophecy”.
Der Neurotiker hat dann allen Grund, seine Wahnvorstellung für Realität zu halten. Er wehrt sich dann gegen alles, was ihn heilen könnte. Das ist tatsächlich ein Kardinalproblem unserer Gesellschaft: die tief in ihrem psychologischen System verankerte Abwehr gegen alles, was sie heilen könnte.
 
Ich habe über hundert Gruppen und Projekte kennengelernt und gesehen, wie sich überall dieselben neurotischen Grundmuster in ähnlicher Weise wiederholen. Das beste Forschungsobjekt war ich selbst, denn nach und nach haben sich in mir selbst die seelischen Vorgänge, die Reaktionsbildungen und Tarnungen, die verdrängten Bilder und Impulse offenbart, aus deren Gesamtheit sich der untergründige Krieg in unserer Zeit zusammensetzt.
Der Krieg war latent auch in mir. Aber da war ein innerer Punkt, von dem aus ich die Dinge erkennen und korrigieren konnte. Dies nennen wir den „Gottespunkt” im Menschen. Es ist der innere Reflexionspunkt, von dem aus wir eine unmittelbare Spiegelung erhalten, so dass wir immer auf der entelechialen Bahn bleiben können. Ich vermute, dass er in allen Menschen existiert. Alle Menschen wären somit tendenziell fähig, ihre Unzurechnungsfähigkeit zu erkennen und in ein verantwortliches Leben einzutreten.
Die allererste Bedingung für eine erfolgreiche Heilungsarbeit der Menschheit ist die Auflösung ihres traumatischen Kerns. Mit dieser Feststellung stehen wir außerhalb aller revolutionären Konzepte, die in der bisherigen Geschichte entwickelt worden sind. Wir brauchen Lebensformen, die in der Lage sind, das schlimme Erbe der Geschichte zu überwinden. Die Erzeugung solcher Lebensformen ist das aktuelle Kernthema unserer Zeit.  Die Gruppen, die heute an den menschlichen und politischen Frontlinien stehen, brauchen ein unerschütterliches Wissen vom Leben und seinen Heilkräften, um den Konflikt gut zu überstehen. Mit jeder Handlung können wir die Kräfte der Heilung aktivieren.
 

Aus dem Buch Terra Nova – Globale Revolution und Heilung der Liebe

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