Terra Nova

Freie Liebe heißt: Kontakt, Vertrauen und Solidarität

Dieter Duhm

Theaterszene zum Thema Hochzeit während einer Liebesschule in Tamera. Foto: Simon du Vinage

Damit Mann und Frau in ihrem wechselseitigen Verlangen wieder wahrheitsfähig werden und nicht mehr heimlich schwindeln müssen, brauchen sie Kontakt, Vertrauen und Solidarität. Das ist eine Menge.

  • Kontakt bedeutet, dass wir die Seele des anderen sehen und nicht nur seinen Leib.
  • Vertrauen bedeutet, dass wir uns nicht mehr belügen, auch nicht heimlich.
  • Solidarität bedeutet, dass Mann und Frau sich solidarisch begegnen, in aufrichtiger Freundschaft und Kooperation, ohne Verurteilung und Ironie.

Diese Voraussetzungen sind in der bestehenden Welt meistens nicht gegeben. Es bleibt uns deshalb nichts anderes übrig, als neue Systeme zu entwickeln, in denen es wieder möglich wird, unser Leben an den menschlichen Grundwerten zu orientieren. Wir brauchen ein System des menschlichen Zusammenlebens, in dem sich die Menschen wieder vertrauen können. Ein System, in dem Lüge und Betrug keinen evolutionären Vorteil mehr bieten. Ein System, wo die sexuelle Beziehung eines Menschen zu einem anderen in einem Dritten keine Angst und keinen Hass mehr hervorruft. Wie lösen wir den scheinbaren Widerspruch zwischen freier Liebe und Zweierliebe, zwischen freier Sexualität und Partnerschaft? Da ist tatsächlich ein reales Problem, denn wir Menschen wollen nicht nur freie Sexualität, wir wollen oft auch eine stabile und dauerhafte Partnerschaft, „bis dass der Tod euch scheide“. Plötzlich stehen wir vor einem scheinbar unlösbaren Konflikt: dem Konflikt zwischen dem neuen Bild der freien Sexualität und dem alten Archetyp der Ehe. Das archetypische Bild der Ehe, der ewigen Beziehung zwischen einem Mann und einer Frau sitzt tief in der menschlichen Seele. Wir alle kennen es, und in uns allen existiert eine Sehnsucht in dieser Richtung. Jede Sehnsucht wartet auf Erfüllung; es gäbe die Sehnsucht gar nicht, wenn es nicht auch eine Erfüllung gäbe, denn unsere Sehnsüchte sind nicht beliebig. Wenn eine Gemeinschaft ganz auf freie Sexualität setzt und dabei diese tiefe Sehnsucht ignoriert, dann wird sie ganz sicher scheitern. Wir können hier die dialektische Theorie von Hegel anwenden: These-Antithese-Synthese. Die These war die Ehe. Die Antithese war die freie Sexualität. Die Synthese ist ein neues System, in welchem These und Antithese auf höherer Ebene aufgehoben oder vereinigt sind. Wir arbeiten seit einigen Jahrzehnten daran, diese Synthese zu finden.

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