Terra Nova

Eine Geschichte aus der Zukunft

von Monika Berghoff

Es war zu einer Zeit, wo niemand mehr so recht wusste, wie es weitergehen sollte. Ein Virus war ausgebrochen, der sich in wenigen Wochen über dem ganzen Globus ausgebreitet hatte. Niemand wusste genau, wie schlimm er eigentlich war. Die offiziellen Stellen verordneten Ausgangssperren und andere Dinge, um eine weitere Verbreitung zu verhindern. Inoffiziell wurden Stimmen laut, die das Ganze als ein großes Ablenkungsmanöver bezeichneten. Sie behaupteten, dass damit das Zusammenbrechen der globalen Ökonomie verschleiert werden solle. Wieder andere meinten, das Virus sei von Mutter Erde geschickt, um die Menschheit wachzurütteln. Auch das hatte etwas für sich. Als während der anfänglichen Ausgangssperren der dichte Verkehr fast völlig zum Erliegen gekommen war, lichtete sich der Himmel schon innerhalb weniger Tage, selbst über den verschmutztesten Städten. Ein großes Aufatmen schien um den Globus zu gehen. Aber Menschen in ihren Wohnungen eingesperrt zu halten, ist noch keine dauerhafte ökologische Lösung. Ungewissheit breitete sich aus. Viele, vor allem die Ärmsten, verloren ihre Existenz, flohen aus den Städten und versuchten, irgendwo noch eine Überlebensmöglichkeit zu finden. Überall wuchs die Angst.

An einem unbekannten Ort der Erde fanden sich Menschen zusammen mit dem festen Entschluss, Menschheit und Erde von Angst und Gewalt zu befreien. Es war ein ungewöhnlicher Plan. Die einen waren von dem Vorhaben überzeugt. Andere hegten noch Zweifel, betrachteten es aber angesichts der globalen Situation als einen Versuch wert. Die Bedingungen waren günstig; für ihr materielles Wohl war für einige Zeit gesorgt. Das Klima war erträglich, die Umgebung freundlich.

Niemals zuvor war ein solcher Versuch unternommen worden. Das vorhandene Wissen konnte jetzt hilfreich sein oder auch nicht. Sie glaubten fest daran: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Oder, wie es die Mutter, Gründerin von Auroville, gesagt hatte: „Wenn dir klar wird, dass aus der Lage, in der du dich befindest, dir allein die Gnade heraushelfen kann…, dann erwacht in dir in ganz natürlicher Weise eine heftige Sehnsucht, ein Bedürfnis, das sich in ein Öffnen verwandelt. Wenn du rufst, dich sehnst und auf eine Antwort hoffst, wirst du dich ganz natürlich der Gnade aufschließen.“

Wie machen wir das?“ fragte eine eifrige Teilnehmerin die Gruppe. „Lasst uns den Plan richtig studieren und kennenlernen“, antwortete brummelnd der intellektuelle Alt-Aktivist aus Italien. Müde geworden durch viele Diskussionen glaubte er kaum noch daran, dass sein Vorschlag ernsthaft in Erwägung gezogen werden würde. Überrascht hörte er die attraktive 18-jährige mit ihrem wilden Lockenkopf ausrufen: „Toll! Lass uns das machen, denn wir müssen ja das Bild gemeinsam sehen, für das wir arbeiten wollen!“ Der Vorschlag war angenommen. Und so begannen sie damit, verschiedene Bücher und Gedanken zu studieren. Durch das gemeinsame Denken entwickelte sich eine wachsende Begeisterung unter den Teilnehmern.

Am Anfang mussten sie sich viele Male am Tag treffen, um sich auszurichten auf die „Gnade“, auf das Ganze, auf seine Heilkraft, sein Geheimnis, seine Wunder und Zusammenhänge. Sie waren es nicht gewohnt, sich auf diese Realität zu konzentrieren, waren dauernd abgelenkt und verloren sich in inneren Dialogen und Aussichtslosigkeiten. Sie konnten die Zeichen des Ganzen noch nicht lesen und seine Stimme nicht heraushören aus dem Stimmengewirr im Inneren. Doch je intensiver und kontinuierlicher sie sich mit dieser anderen Realität beschäftigten, umso näher kam sie ihnen, umso stärker erfüllte sie sie mit Zuversicht und Vorfreude. Sie lernten es, sich immer sicherer im Bewusstseinsstrom dieses Ganzen zu bewegen und brachten so ihr Leben, ihre Arbeit, ihre Liebe und Forschung mehr und mehr in Übereinstimmung mit den ethischen Prinzipien des heiligen Lebensstroms. Ihr Leben begann zu „stimmen“, wie ein gutes Instrument. Sie tanzten und sangen. Sie konnten nicht anders. Das Leben quoll aus ihren Herzen empor.

Durch den verbindenden Geist konnten sie sich auf der anderen Seite gegenseitig viel Freiraum lassen. Einige begannen im Bereich der Kunst zu arbeiten. Andere legten mit viel Liebe einen Garten an. Ein junger Mann dachte an seine Geliebte in den Kanada. Durch die Restriktionen, die den Menschen in dieser Zeit auferlegt worden waren, hatten es die beiden es schwer, sich zu treffen. Er übersetzte den Plan ins Englische, damit auch sie sich zusammen mit ihren Freunden und Freundinnen daran beteiligen konnte. Einige Sprachbegabte unter ihnen arbeiteten an Artikeln und Veröffentlichungen, rangen um die richtigen Worte, um das mitzuteilen, was sie zusammenhielt und ihnen Hoffnung gab. Alle taten das, was sie sich insgeheim sowieso schon immer gewünscht hatten und je mehr sie das taten, umso weiter wurde ihr Blick. Sie brauchten sich nicht mehr zu früh auf ein gemeinsames Programm zu einigen, sondern bezogen sich immer stärker auf globale Fragen, nahmen diese in ihr Herz und wagten sich an neuartige Antworten heran. Nach und nach erkannten sie, dass sie, je mehr die Einzelnen ihre eigentliche Lebensaufgabe fanden und ihr folgten, umso stärker sie von etwas erfasst wurden, was über sie hinausging. Sie befanden sich gemeinsam auf einer Aufwärtsspirale. Ein Besucher aus dem Jenseits namens Ritchie sagte staunend: „Was diese Leute auch sonst gewesen sein mögen, sie erschienen äußerst selbstvergessen – aufgesogen von einem ungeheuren Vorhaben, weit über ihnen selbst…. Ich spürte, dass alle Aktivitäten an diesem mächtigen Campus ihre Quelle in Gott hatten.“

Die Gruppe befand sich in regem Austausch mit ihrer unmittelbaren Nachbarschaft und mit einem wachsenden internationalen Netzwerk. Immer mehr Menschen erfuhren von dem „Plan“ und dieser neuen Art zu leben. Viele begannen, sich ebenfalls an der kosmischen Lebensordnung auszurichten. Sie „konnten es sich nicht mehr leisten, missgünstig oder gereizt zu sein“, wie Jacques Lusseyran gesagt hatte. Sie befreiten sich aus der inneren Besetzung von Angst und Wut. Ein Netzwerk des Vertrauens bildete sich.

Eine junge Frau, die über Nacht zur vielfachen Kryptomillionärin geworden war, hörte vom „Plan“ und fand die Sache „ziemlich abgefahren“. Sie spendete eine beträchtliche Summe Geld für seine Verwirklichung. „Es könne ja nicht schaden“, sagte sie, noch etwas skeptisch, aber mit dem Herz am rechten Fleck. Andere Geldgeber schlossen sich an. Mittlerweile hatten sich schon etliche Gruppen gebildet, die ernsthaft an der Umsetzung des Plans arbeiteten. Das Geld wurde unter allen aufgeteilt. Das meiste bekamen die Gruppen aus dem globalen Süden, die am stärksten unter der zusammenbrechenden Wirtschaft zu leiden hatten. Ein anderer Teil des Geldes floss in ein Projekt, das allen zu Gute kam. Es war der Aufbau einer „Sendestation“, über den das neue Wissen verbreitet werden sollte. Viele wirkten daran mit und schließlich konnte die Medienstation in Betrieb genommen werden. Es sprach sich schnell herum, dass hier Informationen erhältlich waren, denen man tatsächlich wieder glauben konnte. Man fand hier eine gute Idee nach der anderen. Es gab etliche vor allem technologische Projekte, an denen alle über das Internet mitarbeiten konnten. Aber auch Ausbildungskurse über Liebe, Partnerschaft und Sexualität. Die waren besonders beliebt. Innerhalb kürzester Zeit wurde dieser Sender sehr bekannt und viele Menschen schalteten sich zu.

Und dann geschah es: Der Funke sprang über, eine globale Idee zündete. Menschen, die überall auf der Erde schon lange mit dem Gedanken gespielt hatten, sich mit anderen zusammenzuschließen, aber nicht recht wussten wie, wurden plötzlich von einer Idee erfasst. Sie kam wie alle guten Ideen von „irgendwoher“. Eine wahre Welle ging um die Erde. Überall entstanden neue Projekte, Stadtgruppen, Dörfer und Siedlungen. Es waren Orte der Gastfreundschaft und Nächstenliebe, Herbergen für Flüchtlinge und Suchende, für Revolutionäre und Traditionalisten. Das Leben auf der Erde hatte begonnen, sich neu zu organisieren.

Von den neuen Gruppen ging eine unwiderstehliche Freundlichkeit aus. Es war eigentlich eine unsichtbare Macht. Wann immer sie sich auf ihre spezielle gewaltfreie Art am Widerstand beteiligten, um ökologische Eingriffe wie geplante Ölbohrungen, den Abbau von Mineralien, die Vergrößerung von Industrie- und Hafenanlagen oder den Bau neuer Staudämme zu verhindern, wurden diese Ziele auf mysteriöse Weise erreicht. Niemand wusste genau, wie es geschah. Die Gruppen folgten keinem vorgefertigten Programm und wirkten nie angestrengt. Sie halfen überall, wo Hilfe nötig war. Sie nahmen verletzte Tiere auf und pflegten sie gesund. Sie kümmerten sich um die Nachbarn, halfen mit, Konflikte zu lösen, wenn sie dazu eingeladen wurden. Wer immer mit ihnen in Berührung kam, wurde alsbald selbst zur helfenden Kraft. Ihr Einfallsreichtum war grenzenlos. Von der Herstellung zusammenfaltbarer solarer Kocher bis zur Planung und Realisierung ganzer autarker Siedlungen schien keine Aufgabe zu klein, zu groß oder abwegig zu sein. Sie gingen weise und sparsam mit den digitalen Medien um und ersetzten sie, wo immer möglich, durch einen warmherzigen Kontakt von Mensch zu Mensch.

Ihre Kinder wuchsen von Anfang an in einem großen Freiraum auf. Sie waren überall willkommen und überall geschützt. Sie hatten Vertrauen zu den Erwachsenen und zu ihren Eltern. Sie kannten Micky Mäuse und Playmobil-Figuren, aber ihr Interesse galt viel mehr dem, was um sie herum in der Natur vorging. Sie liebten richtige Mäuse, Wildschweine und vor allem Sauerklee und Erdbeeren. Sie lebten beinahe schon im Paradies.

Das alte System des Kapitalismus verlor seine Basis. Das Leben war zurückgekehrt. Die wenigen großen Unternehmen, die es noch gab, erhöhten die Löhne, versprachen Luxusvillen und schnelle Autos, aber danach sehnte sich niemand mehr. Das System, fiel in sich zusammen wie ein Kartenhaus. Endlich konnte wahr werden, was schon im Alten Testament prophezeit worden war: „Es werden Wasser in der Wüste hervorbrechen und Ströme im dürren Lande. Und wo es zuvor trocken gewesen ist, sollen Teiche stehen. (…) Dort wird es eine Straße geben, man nennt ihn den heiligen Weg. (…) Jubel und Freude stellen sich ein.“ (Jesaja 35,1-10).

Wir alle werden eine wunderbare und friedliche Zukunft erleben, wenn wir es, wie ein Mann schrieb, dessen Pionierarbeit damals wesentlich zu dieser Entwicklung auf der Erde beitrug, „mit allen Kräften wollen und tun.“ (DD)

Im Namen der Generationen, die nach uns kommen.
Im Namen des Kindes von Ost-Ghouta.

Ende.


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