Terra Nova

Ein neues Feld der Frauen

Ich möchte den folgenden Text heute zu Beginn des Jahres 2022 veröffentlichen. Ich habe ihn in der Vergangenheit immer wieder gelesen, mal allein, mal nur mit Frauen, mal mit Frauen und Männern zusammen. Vor kurzem nun habe ich eine tiefe Erfahrung gemacht, die mir die Worte dieses Textes so nahe brachten, dass ich den Tränen nahe war – vor Glück! Jetzt suche ich Frauen, um mich über dieses neue Feld zu verständigen! Ich freue mich über Zuschriften. (Monika Alleweldt)

von Dieter Duhm

(Kapitel aus seinem Buch  „Politische Texte für eine gewaltfreie Erde“, Verlag Meiga, 1992 – Abschrift einer freien Rede)

Betritt ein neues Feld, und es treten neue Ordnungen, neue Wahrnehmungen, neue Regeln und neue Kräfte ein. Alte Ängste haben innerhalb des neuen Feldes keine Bedeutung mehr, denn das Ganze hat eine neue Richtung und ein neues Ziel bekommen.

Wenn das neue Feld nicht aus einer Mode oder einer Ideologie hervorgeht, sondern aus einer authentischen geistigen Entwicklung, dann trägt es in der Regel eine höhere Potenz und eine höhere Überlebenskraft in sich als das alte. Dies gilt auch für das neue Feld der Frauen. Das alte Feld war gekennzeichnet durch Vergleich, Konkurrenz und Unterwerfung, es war verbunden mit Kräften der Vernichtung und der Selbstvernichtung. Das allgemeine Frauenfeld war historisch geprägt durch eine mehrtausendjährige Geschichte von grausamer Unterdrückung, sexueller Ausbeutung und zerstörter Liebe; es war die Geschichte der patriarchalen Kriegsepoche. Eine Frau, die anfing zu lieben, fing meistens nach einiger Zeit auch an zu leiden. Ihre Kräfte, die eigentlich in der Liebe aufblühen wollten, begannen zu welken und zu versiegen. Unter dem Druck patriarchaler Systeme waren falsche Vorstellungen von Liebe, Ehe und Treue entstanden, eine falsche (historisch erzwungene) Fixierung an den Mann, ein falsches Feld für die Selbstachtung der Frau und für die Liebe der Geschlechter. Wir können das Feld definieren als ein geistiges – bewußt oder unbewußt wirkendes – Informationsmuster, welches die Verhaltensweisen aller Feldteilnehmer in ungefähr derselben Weise steuert.

 

Wenn es darum geht, das neue Feld zu betreten, dann türmen sich zunächst die Ängste, Zweifel und Abwehrreaktionen in einem auf. Man ist plötzlich viel stärker konfrontiert mit den Fragen der Liebe, der Sehnsucht, der Partnerschaft, der Sexualität, als man es sonst wäre. Es ist wie beim Feuerlauf. Wenn man sich entschlossen hat, diese neuartige Übung in einer Gruppe mitzumachen, dann bäumt sich im Inneren zunächst alles dagegen auf, denn Feuer ist heiß, schmerzhaft, gefährlich. Warum sollte es das auf einmal nicht mehr sein? Aber die Information, daß es trotzdem geht, hat das Wunder bewirkt; alle unsere Zellen haben sich darauf eingestellt, keiner hat sich ernsthafte Brandverletzungen geholt. Eine entsprechende Information brauchen wir jetzt für eine neue Frauenrolle in der freien Liebe. Die Information wird zu einer feldbildenden Kraft, wenn es sich herumspricht, daß »es geht«. Aber bevor sich das herumsprechen kann, müssen einige Frauen mit der Sache anfangen und sie so weit führen, bis es tatsächlich geht – ohne innere Kollision und heimliche Verdrängung.

Wir leben heute in einer transformatorischen Zeit, und man sollte von vornherein die größten Veränderungen auch bei sich selbst für möglich halten. Ich vermute, es wird bald mehr Kraft kosten, die alten Strukturen aufrechtzuerhalten, als in den Vorgang der eigenen Transformation einzusteigen. Das traumatische Frauenthema braucht nicht länger fortgesetzt zu werden. Frauen haben eine eigene Funktion in der Welt, die zunächst einmal jenseits aller Beziehungsfragen steht. Wenn eine Frau klein wird in der Liebe, dann handelt es sich um ein Mißverständnis ihrer eigentlichen Rolle. Wenn eine Frau einem Mann hinterherläuft, dann läuft sie mit Sicherheit an der Evolution vorbei. Aus großer Entfernung betrachtet sind dies alles sehr merkwürdige Vorgänge, denn die Frau ist von ihrer archetypischen Form und Funktion her die leitende Kraft in den Grundfragen der Liebe und des Lebens. Sie ist mehr der Pol für den Mann, als der Mann es für sie ist. Sie hat durch ihre evolutionäre Rolle und durch ihre Verbundenheit mit dem Lebendigen eine andere Macht und Allgemeinheit als nur die, Freundin oder Gattin eines Mannes zu sein. Wenn eine Frau sich zu ausschließlich an einen Mann bindet, dann wird sie wahrscheinlich an sexueller Frustration verwelken oder sie wird diesen Mann mit ihrer Mütterlichkeit ersticken. In beiden Fällen konnte dieser innere Überschuß an Kraft, der ihrer universellen Natur innewohnt, nicht untergebracht werden. Keine Frau kann diese innere Mitgift von Sexualität, Liebeskraft, Pflege und Gärtnerschaft, die ihr die Schöpfung überreicht hat, in der Beziehung zu einem einzigen Mann entfalten. Allein ihre sexuelle Kraft, die dauernde Präsenz ihrer sexuellen Natur und ihrer Lust, deutet auf eine ganz andere Bestimmung hin.

Ich werde mich hüten, diese Bestimmung zu definieren, sonst entstehen wieder irgendwelche Programme. Aber ich werde meine männliche Seele voll einsetzen, um die weibliche bei den Frauen zu wecken und zu unterstützen. Es ist manchmal ein Witz, wenn Männer Therapie betreiben. Könnten Frauen ihre gesellschaftliche Rolle ganz erfüllen, dann wäre wohl keine Therapie mehr nötig. Eine Frau ist, wenn sie ihre weibliche und universelle Identität gefunden hat, eine natürliche Anlaufstelle für viele Männer. Eine reife Frau ist in jeder funktionierenden Gemeinschaft ein seelischer Pol für alle. Sie ist dies ganz einfach durch ihr authentisches Dasein. In einer organischen Gemeinschaft wird sie zum Beispiel ganz von selbst die Liebeslehrerin vieler junger Frauen und Männer sein. Nicht, weil sie darin eine eigene Sucht nach Jugendlichen stillen muß, sondern weil es ihre natürliche Funktion ist und weil sie natürlicherweise in diesem Sinne aufgesucht wird. Eine wissende, authentische Frau ist die natürliche Autorität für jeden Hungrigen und Suchenden. Aber diese Autorität beruht nicht auf Macht und Bestrafung, sondern auf Wissen, auf Verständnis, auf menschlicher Kenntnis und nicht zuletzt natürlich auf sexueller Freude.

Der Mann, auch der des Patriarchats, hat im Grunde die hohe Funktion der Frau einigermaßen richtig eingeschätzt, er ahnte, welche überlegene soziale und politische Stellung der Frau sich daraus ergibt. Die entscheidenden sozialen und politischen Funktionen einer gewaltfreien, lebensorientierten Gesellschaft sind viel mehr Aufgaben der Frau als des Mannes. Die Frau hat die letzte Kompetenz für alle Fragen der Gemeinschaft, der emotionellen Wahrheit, der Kooperation mit der Natur, der Heilung, der Neukonditionierung des Bewußtseins. Der Mann hat die Aufgabe, ihr dabei zu helfen und in gewisser Weise »für sie da zu sein«, wie es früher umgekehrt war, aber er kann keine von ihnen ganz für sich beanspruchen. Er kann es natürlich versuchen, aber eine intelligente Frau wird diesem Anspruch trotz der leisen Verführung, die darin liegt, nicht mehr folgen. Die antiquierte Süßigkeit eines Gartenhäuschens zu zweit war in Wirklichkeit immer die Totalunterwerfung der Frau unter den Mann. Die Frau hat tatsächlich eine latente Liebe für diese Art Unterwerfung. Das ist ja ihre andere Seite. Sie will immer noch in den Hinterstübchen ihres Herzens »einem Mann anhangen«, will immer noch dieses uraltehrwürdige Gebot des Alten Testaments erfüllen, will ganz und gar Dienerin des Mannes sein bis zur Selbstaufgabe, will ihm gehören, ihm gehorchen und ihm hörig sein. Die Theologin Heide-Marie Emmermann hat diese Wahrheit ungeheuer gründlich und eindrucksvoll beschrieben in ihrem Buch »Credo an Gott und sein Fleisch«. Aber eine erwachende Frau wird auf der Stelle aufhören mit diesen unterwürfigen Phantasien, wenn sie im realen Leben die Möglichkeit hat, die Stelle einzunehmen, die ihr eigentlich zukommt. Die Emanzipation der Frau ist keine Auflehnung gegen den Mann, sondern es ist die Entdeckung ihrer realen Bedeutung für den Mann, für alle Männer, für alle menschlichen Gemeinschaften und für alle zukünftigen Heilungsbiotope der Erde. (…)

Ich spreche nicht von den ganz jungen Frauen, sondern von Frauen ab dreißig oder vierzig. Eine Frau mit vierzig betritt die Hochphase ihres Lebens, den Höhepunkt ihrer körperlichen Schönheit, ihrer sexuellen Kraft und ihrer sozialen Funktion – und sie wird diese Blütephase ihres Lebens und ihres Leibes jahrzehntelang bewahren, wenn ihr nicht durch gesellschaftliche Vorurteile und falsche Sexualmoral der Weg verbaut ist. Sie wird längst alle Spiele der früheren Weiblichkeit, das Spiel der Unschuld, das Spiel der Koketterie, das Spiel der Verführung und Abweisung, das Spiel der Hilflosigkeit, das Spiel der Eifersucht, das Kleinmädchenspiel oder das Mutterspiel als Jugendtorheit durchschaut und abgelegt haben. Warum sollte sie noch solche Spielchen treiben, wenn sie ohnehin mit ihren weiblichen Gaben so nah an der Quelle des Lebens steht?

Wenn die ersten fünf Frauen in diesem Sinne ein neues Feld der Frauen aufbauen, werden sie in kürzester Zeit bei hundert weiteren Frauen eine Kettenreaktion auslösen. Wenn sie sich untereinander nicht mehr wegen eines Mannes bekämpfen, wenn sie nicht mehr in unerfüllter Bedürftigkeit ihrer Sehnsucht hinterherlaufen, wenn sie nicht mehr heimlich versuchen, ihre Mütter zu kopieren, dann eröffnen sie für alle Frauen eine neue Möglichkeit der weiblichen Entwicklung. Sie werden die zukünftige Verlaufsgestalt des weiblichen Lebensschicksals grundlegend verändern, weil sie nicht mehr gezwungen sind, in der Lebensmitte ihre sexuellen Kräfte auf Eis zu legen. Sie werden einen Lebensbereich aufbauen, der ins Innerste jeder organischen Gemeinschaft gehört und der von jetzt an in keinem Zukunftsprojekt mehr fehlen kann: den ganzen Bereich von Sexualität und Heilung. Es ist der genuine Bereich der Frauen. Eine Frau, die kraft ihrer weiblichen Natur mit allen Lebenskräften verbunden ist, vertritt in erster Linie keine partnerschaftliche, keine beziehungsorientierte, sondern eine universelle Sexualität in sich. Sie hatte allerdings in der patriarchalen Epoche ihre eigentlichen öffentlichen Ämter weitgehend verloren und mußte sich deshalb auch in der Liebe auf die hausgemachte Rolle der Männergesellschaft zurückziehen. Jetzt, wo das Patriarchat zerbricht, kann sie die größere Linie ihres Lebens wieder aufnehmen.

Es handelt sich hier um einen geschichtlichen Rollenwechsel, der im Zentrum einer neuen Geschlechterordnung steht, im Zentrum eines organischen, naturgemäßen Systems der freien Sexualität. Etliche Frauen merken heute ohnehin, daß sie mehr oder weniger zu dieser Entwicklungsrichtung gezwungen werden: sie sehen gar nicht mehr die Möglichkeit, den »starken Mann« zu finden, in dessen großen Armen sie klein bleiben dürfen. Sie müssen selber mithelfen, daß Männer entstehen, denen sie sich gerne hingeben. Sie müssen ihr eigenes weibliches Wissen in die Waagschale kultureller und gesellschaftlicher Entscheidungen legen. Sie sind im Liebesbereich die führende Kraft, ob sie es wollen oder nicht, und sie tun jeder Menschengemeinschaft den allerbesten Dienst, wenn sie sich entschließen können, diese Rolle anzunehmen.

Der Aufbau eines neuen Frauenfeldes bedeutet eine neue Stufe in der Evolution des Menschen und in der Evolution des Lebens auf der Erde. Wenn die weibliche Naturkraft aus dem Beziehungsdenken befreit ist, sind tendenziell alle Liebeskräfte aus dem Beziehungsdenken befreit. Das neue Feld trifft eine so zentrale Stelle des Lebens, daß alle Dinge davon betroffen sind. Gartenbau, Architektur, Ernährung, Kinderaufwachsen, Naturforschung, Ökologie etc. werden hinterher eine andere Bedeutung haben als vorher. Die Begriffe von Liebe, Wahrheit, Treue, Vertrauen, Geborgenheit und Heimat werden einen universellen Sinn erhalten, indem sie zur Übereinstimmung gebracht werden mit dem Bauplan der Schöpfung, wie er in der Geschlechterfunktion angelegt ist. Kinder werden in einem festen Rahmen aufwachsen, der nicht mehr abhängig ist von der Laune zweier Eltern. Jugendliche werden eine Einführung in die Sexualität erhalten, die ihnen viele schlimme Umwege und Hinterhältigkeiten erspart. Erwachsene werden sich nicht mehr an einen einzigen Partner klammern müssen, um ihre notwendige Portion von Sex und Heimat zu erhalten. Und gerade dadurch werden sie vielleicht den „Partner fürs Leben“ finden. Ich möchte daran erinnern, daß freie Liebe und Zweierliebe sich nicht ausschließen, sondern gegenseitig ergänzen.

Wie jedes neue Feld, dessen Zeit gekommen ist, so wird auch das neue Feld der Frauen dem alten an Kraft und Potenz weit überlegen sein, sobald es sich einigermaßen gefestigt und verbreitet hat. Das alte Feld war verbunden mit Kräften der Zerstörung und Selbstzerstörung, das neue Feld steigert sich selbst durch die Bejahung und Pflege der elementarsten Lebensenergien. Wer im alten Feld bleibt, wird den Anforderungen der neuen Zeit nicht mehr gewachsen sein. Aber niemand muß sich hier und jetzt zu irgendeiner Entscheidung zwingen. Wenn das neue Feld übereinstimmt mit den elementarsten Lebensinteressen der Frau und mit ihren eigensten Schöpfungsfunktionen, dann wird es sich »morphogenetisch« durchsetzen. Alle Frauen, die noch einigermaßen offen und lebendig im Leben stehen, werden zu diesem Feld in Resonanz treten, bei allen wird die Möglichkeit eines ähnlichen Rollenwechsels aktualisiert; der Begriff der »Frauenemanzipation« hat endgültig eine neue, positive, universelle Bedeutung bekommen. Und so wahr ich die Männer kenne: Die Männeremanzipation wird auf der Stelle folgen, wenn die ersten Frauen ihren großen Schritt getan haben. Es handelt sich ja um einen gemeinsamen Schritt menschlicher Verwirklichung, nur müssen die Frauen im Moment offenbar die Rolle des Geburtshelfers übernehmen.

Zum Schluß noch ein Wort zur Beziehungsfrage. Alles in der Welt steht in Beziehung zueinander. Erde, Sonne und Mond haben eine ganz konkrete Beziehung zueinander. Diese Beziehung erfüllt sich von selbst, indem jeder seine eigentliche Funktion voll ausübt. Diese Funktion ist nicht beliebig, denn sie hängt immer zusammen mit der Welt als ganzer. Die Beziehungen, in denen die Dinge der Welt zueinander stehen, sind deshalb nicht von privater, sondern von universeller, kosmischer Art. Dasselbe gilt für die Beziehung der Geschlechter. Sie stehen in einer universellen – wir könnten auch sagen »transpersonalen« – Beziehung zueinander, und diese Beziehung entscheidet von selbst darüber, wie nah sie sich kommen, wieviel Abstand sie brauchen, wieviel Intimität, Sexualität, Partnerschaft etc. entsteht. Sie brauchen darüber hinaus keine Eheverträge und keine Liebesversicherungen. Sie werden sich natürlich immer wieder auch individuell ineinander verlieben, das gehört zum Spiel des Lebens, aber sie werden davon nicht mehr ihr Schicksal abhängig machen, denn sie haben ergänzende Funktionen und Liebesmöglichkeiten, die nicht an Einzelbeziehungen gebunden sind. Eine Frau, die dem neuen Feld folgt, wird sich nie mehr über den Mangel an Einzelbeziehungen beklagen müssen, denn sie ist – kraft ihrer authentischen Ausstrahlung – der natürliche Pol aller Männer geworden. Je mehr sie selbst kraft ihrer neuen Rolle angstfrei in der Schöpfung steht, umso mehr können auch die Männer ihre tief eingefleischte Sexualangst überwinden. Und je mehr die Männer ihre Angst überwinden können, umso mehr können sie ihre Eitelkeit, ihr Gockelverhalten und ihre Herrschsucht ablegen.

Mit dem neuen Feld der Frauen entsteht eine neue menschliche Entwicklungsmöglichkeit auch für den Mann. Deshalb im Namen aller Männer ein Appell an die ersten fünf Frauen: Baut das neue Feld der freien Liebe.

 


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