Terra Nova

Friedensjournalismus: Nicht nur gegen den Krieg, sondern für den Frieden schreiben

„Gewalt hat zwei Vorteile für den Journalisten, auch wenn er selbst auf der Seite des Friedens steht: Es geht schnell, und es passiert was.“ Johan Galtung

Von den Ereignissen auf der Welt erreicht nur noch ein Bruchteil unsere Abendnachrichten und Zeitungen. Ein Teil wird ohne Frage aus politischen Gründen verschwiegen oder verfälscht. Ein anderer Teil wird von den Lesern oder Zuschauern einfach nicht mehr nachgefragt, erhält keine Quoten. Die meisten Medienkonsumenten wollen nicht noch mehr über die täglichen Gräuel wissen, bevor sie nicht auch Nachrichten von glaubwürdigen Alternativen und Visionen bekommen. Den vielen mutigen FriedensarbeiterInnen auf der Welt, ihren Gedanken und Hoffnungen, ihren realen Erfahrungen im Widerstand und im Aufbau einer globalen Friedenskultur muss in den Medien mehr Platz eingeräumt werden. Sonst verstärken die Berichte von den Kriegsherden, den Naturkatastrophen, den Opfern der Globalisierung nur die Angst, die Verzweiflung und letztlich die Gleichgültigkeit. Zu viel Horror ohne Ausweg lähmt. Ich möchte ein Feld für konstruktiven Journalismus aufbauen.

„Ein Journalist darf sich nicht gemein machen. Auch nicht mit etwas Gutem.“ Das sagte Hans-Joachim Friedrichs, eine Ikone im deutschen Journalismus. Ich möchte ihm widersprechen. Die Neutralität, die der Journalist vertreten soll, habe ich so nie empfunden. Egal, über was ich berichte, ich bin immer als erstes Mensch. Auch mir als Journalistin laufen die Informationen, die ich erhalte und weitergebe, über Hirn und Herz. Die Dinge, über die JournalistInnen schreiben – sei es Krieg, sei es Umweltzerstörung, seien es die Konsequenzen aus politischen Verhandlungen oder Wirtschaftsaktivitäten – betreffen auch sie selbst, ihre Kinder, ihre Freunde – ihre Erde.
Informationen schaffen Wirklichkeit. Jede Nachricht und jede Information können ein Stein sein, der – summiert mit vielen anderen – eine Lawine auslöst. Die Art und Weise, wie etwas geschildert wird, welche Worte oder Bilder benutzt werden, erzeugt eine Resonanz – sie kann entweder unsere latente Anteilnahme, Friedenssehnsucht und Einsatzbereitschaft wecken oder das Gegenteil. Ich bin der Meinung, als JournalistIn muss man sich sehr wohl gemein machen mit etwas Gutem. Man muss sich gemein machen mit der Vision eines friedlichen Planeten.
Ich gebe es zu: Ich habe Eigeninteressen. Ich will, dass die Globalisierung der Gewalt gestoppt wird und dass eine Globalisierung des Friedens entsteht. Ich möchte Projekten und Personen eine öffentliche Stimme geben, die an einer Friedenskultur arbeiten.

Medien und Krieg – eine lange gemeinsame Geschichte
Menschen wollen eigentlich keinen Krieg. Bei noch so großem Aggressionspotential sind die Leiden, die ein Krieg verursacht, zu groß, als dass die Mehrzahl der Menschen sie freiwillig auf sich nimmt. Regierungen und Interessengruppen, die Krieg führen wollten, mussten sich etwas einfallen lassen, um ihre Völker zum Krieg gegen andere Völker zu bewegen. Sie erfanden den Journalismus. So könnte man mit bösen Worten den Beginn des Journalismus beschreiben. Tatsächlich begann professioneller Journalismus im 18. Jahrhundert als Kriegs- und Frontberichterstattung.
Während des Krim-Krieges von 1853-56 war William Howard Russell von der Londoner Times der erste offizielle Kriegsberichterstatter. Der Krieg war populär in der britischen Öffentlichkeit, und jemand musste den Hunger nach Information von der Front befriedigen. Aber Russell war geschockt von der Realität des Krieges. Seine Berichte waren keine Helden-Epen, sondern kritische, menschliche Artikel über das Chaos und die Brutalität der Kämpfe. Das Militär reagierte, indem es ihm Informationen vorenthielt. Russell nannte sich selbst den „elenden Urahnen eines glücklosen Stammes“, und er fragte sich: „Was steht höher, meine Pflicht als Journalist oder als Engländer? Die Anforderung legte sich wie Blei auf mein Herz.“
Im Sezessionskrieg in den USA von 1860-1914 verfünffachten sich die Auflagen der Zeitungen, so hungrig waren die Menschen nach Information. 500 Kriegsreporter allein der Nordstaaten waren unterwegs, angefeuert von den Anweisungen ihrer Herausgeber: „Schicken Sie um Gottes Willen Nachrichten, und wenn es keine Nachrichten gibt, schicken Sie Gerüchte.“
Die Fotografie eröffnete bald eine ganz neue Dimension der Kriegsberichterstattung. Anfangs war es eine romantisierende Effekthascherei, aber mehr und mehr entdeckte man die Fotografie, um Emotionen zu schüren. Emotion statt Information, das versprach Auflage und Kampfgeist!

Der erste Weltkrieg entflammte durch gezielte Propaganda, für die Sir Arthur Conan Doyle, der Autor von Sherlock Holmes, verantwortlich zeichnete. Er sollte dafür sorgen, dass die Kriegsbereitschaft im britischen Volk nicht ermüdete. Er schrieb: „Hass stählt den Geist und verbürgt Entschlossenheit, so wie es kein anderer Gemütszustand tut.“ Folgerichtig wurden in sämtlichen Geschäften und Versammlungsstätten von Doyle ersonnene Plakate mit tatsächlichen, übertriebenen oder erfundenen Gräueltaten der Deutschen aufgehängt. So sollten der Kampfgeist gehärtet, eigene Verletzungen des internationalen Rechts gerechtfertigt, Kriegsanleihen gefördert werden.
Wie beim Motorflug, beim Auto, später bei der Atomforschung, war auch im Fall von Medien und Journalismus der Krieg ein Schrittmacher der technischen und gesellschaftlichen Entwicklung.
Bekannt ist das Zitat von Hiram Johnson 1917: Das erste Opfer im Krieg ist immer die Wahrheit.

Ab 1936 setzte Deutschland Propaganda-Kompanien ein: ein Filmtrupp, ein Worttrupp, ein Fototrupp. Sie wurden behandelt und bezahlt wie bewaffnete Kompanien.
Auch auf der anderen Seite des Atlantiks wusste man, die Medien entsprechend einzuschätzen. General Eisenhower sagte: „Die öffentliche Meinung gewinnt den Krieg. Ich habe Korrespondenten immer wie Offiziere behandelt.“

Die freie Presse dagegen versagte auf ganzer Linie. Erst im Vietnam-Krieg kam es zu kritischer Berichterstattung. Es war der erste „Fernseh-Krieg“. Immer mehr Bilder und Berichte der Kriegsrealität sickerten durch. Die offizielle Meinung drehte sich, eine Friedensbewegung formierte sich, und am Ende entstand das Bild, dass „die verräterischen Medien“ den Krieg entschieden hätten.

Das Militär und die Politik lernten daraus. Journalisten wurden in den kommenden Kriegen von Kriegsschauplätzen weitgehend verbannt – bis die USA die Einbettung von Journalisten erfand. Seit dem Irak-Krieg dürfen Journalisten nur noch Zeugen sein, wenn sie an der Seite der Soldaten stehen, in deren Fahrzeugen mitfahren, in deren Unterkünften übernachten und alles aus deren Sicht sehen und berichten. Das ist die perfekte Kontrolle freier Berichterstattung.

Die unselige Verknüpfung zwischen Militär und Journalismus prägt die journalistischen Mittel bis heute, häufig ohne dass sich JournalistInnen und LeserInnen dessen bewusst sind. Ich traf Johan Galtung, den norwegischen Friedensforscher, am Rande einer der großen Friedensdemonstrationen vor dem Angriff auf den Irak. Er war es, der den Begriff Friedensjournalismus geprägt hatte. Auf meine Frage, warum für den Journalismus die Gewalt so faszinierend sei, erklärte er: „Gewalt hat zwei Vorteile für den Journalisten, auch wenn er selbst auf der Seite des Friedens steht: Es geht schnell, und es passiert was.“

Die fatale Rolle des Mainstream-Journalismus und seiner manipulierenden, kriegstreibenden Funktion wurde in den letzten Jahren häufig kritisiert. In den Militärhaushalten Krieg führender Mächte nimmt das Budget für PR und Medien einen großen Platz ein.
„Es sind Informationen, nicht Waffen, die über Krieg oder Frieden entscheiden,“ sagte der ehemalige Brigadegeneral Heinz Loquai. Auch Regierungen und die globalisierte Wirtschaft haben längst gemerkt, wie wichtig die Informationsindustrie ist. Die Medien waren der erste Wirtschaftssektor, der globalisiert wurde: 90 % aller Mainstreammedien der USA sind heute in der Hand von sechs Eigentümern; im Rest der Welt ist die Tendenz ähnlich. Auch die „freien“ Medien sind nicht frei, denn sie hängen direkt oder indirekt von den Konzernen ab, die bei ihnen Anzeigen schalten. Es gibt de facto keine freie Presse mehr.
Ein Beispiel: Im Jahr 2004 veröffentlichte die Süddeutsche Zeitung als einzige Tageszeitung einen Bericht darüber, wie die Discounterkette Aldi Mitarbeiter mobbte, die einer Gewerkschaft angehörten. Aldi zog daraufhin die Anzeigen zurück, was die Süddeutsche Zeitung an den Rand ihrer Wirtschaftlichkeit brachte. Diese Nachricht wurde von keiner Zeitung übernommen außer dem Bildschirmtext im Fernsehen.

Militär und Mainstream-Journalismus stehen in enger Interessengemeinschaft und Kooperation.
Ein Beispiel: Im Oktober 2002 soll, wie Heinz Loquai berichtete, der US-Kongress eine Summe von 300 Mio. $ bewilligt haben, um die europäische Presse für den Irakkrieg zu gewinnen. Diese Nachricht tauchte kurz auf und dann nie wieder. Wir wissen nicht, wie das Geld eingesetzt wurde. Aber was dann geschah, war sehr auffällig: Im Gegensatz zur Bevölkerung, die in Deutschland über 80%, in anderen Ländern teilweise noch entschiedener gegen den Krieg war, waren die Medien sehr durchwachsen. Mit unerträglicher Arroganz zogen z.B. der Spiegel und einige Fernsehsender über Friedensdemonstranten her. Es sei doch „logisch“, dass der Irak Massenvernichtungswaffen habe, schrieben Leitartikler auch angeblich linker Zeitungen.

Die Liste von Lügen, die zu Kriegen führten, reicht bis in die Anfänge der geschriebenen Geschichte. „Heute müssen Kriege so verkauft werden wie Waschmittel.“ Dieses Zitat stammt ebenfalls von General Loquai.
Spezielle Werbeagenturen in Washington waren dafür zuständig, die Lügen zu erfinden und zu publizieren, die zu den Golfkriegen führten. Vor dem Golfkrieg 1991 berichtete eine 15jährige angebliche kuwaitische Krankenschwester namens Nijirah weinend vor dem Kongress, dass irakische Soldaten Säuglinge aus den Brutkästen gerissen und auf den Boden geworfen hätten. Ihre erschütternden Aussagen gingen durch die Welt. Amnesty International protestierte vehement. Danach war die Abstimmung zum Krieg nur noch Formsache. Später wurde aufgedeckt, dass die ganze Sache von der Werbeagentur Hill & Knowlton inszeniert worden war. Die angebliche Krankenschwester war in Wirklichkeit Saud Nasir as-Sabah, die Tochter des kuwaitischen Botschafters, die niemals in einem Krankenhaus gearbeitet hatte. Die ganze Situation war inszeniert, auch Amnesty International musste zugeben, getäuscht worden zu sein. Diese falsche Information reichte aus, um einen Krieg auszulösen, an dessen Folgen tatsächlich rund 35.000 irakische Zivilisten starben.

Ähnliche inszenierte Lügen geschehen fast vor allem Kriegen. Vor dem Kosovo-Krieg wurden Leichen so hingelegt und fotografiert, als hätten Massenerschießungen Wehrloser stattgefunden. Der deutsche Verteidigungsminister Rudolf Scharping – mit echter oder gespielter Erschütterung – zeigte die Bilder, die Fernsehkameras trugen sie zu Millionen von erschütterten Zuschauern; daraufhin ließen in Deutschland auch die meisten Grünen von ihrer pazifistischen Position ab.
Im letzten Irakkrieg waren es dann die angeblichen Massenvernichtungswaffen, die zu zerstören ein Krieg gebraucht wurde.
Die Medien verbreiten jeweils folgsam diese angeblichen Nachrichten. „Nur eine schlechte Nachricht ist eine gute Nachricht“, wie ein Medientycoon in einem James-Bond-Film sagte; Sensationen und Katastrophen verkaufen sich gut.

Der heutige Journalismus entstand innerhalb des Systems der Gewalt und ist mit ihm eng verbunden. Auch Anti-Kriegsjournalisten finden sich gegen ihren Willen in die Kriegsmaschinerie mit einbezogen. Solange Krieg – und dazu zählen die strukturelle Gewalt unserer nur äußerlich friedlichen Kultur, die Umweltzerstörung und die seelische Zerstörung – die Norm und der Erfahrungshintergrund aller, sowohl Medienschaffender als auch Leser, ist, bleibt er der Bezugspunkt jeder Berichterstattung. Anders gesagt: Gegen den Krieg zu schreiben, ist wichtig, aber letztlich immer noch ein Tanz um die falsche Mitte.

Eine Alternative, die nicht dem Krieg, sondern dem Frieden dient, findet und definiert fundamental andere journalistische Wege und Formen. Dazu gehört nicht nur eine andere Nutzung der bestehenden Medien, sondern auch die Entwicklung neuer Medien. Dazu gehören eine vertiefte journalistische Ethik, neue Ausbildungsformen und eine bei aller notwendigen Distanz eine verbindliche Kooperation zwischen friedensschaffenden Initiativen und Journalisten, um eine Brücke zwischen ihnen und der Öffentlichkeit herzustellen. Diese Alternative heißt Friedensjournalismus.

Was ist Friedensjournalismus?
Kriege werden erst ein Ende haben, wenn Visionen, Alternativen und Friedensinitiativen öffentlich wahrgenommen werden. Informationen schaffen Wirklichkeit. Diese Weisheit, die so stark von kriegstreibenden Kräften genutzt wurde, ist auch für den Frieden nutzbar.
Der Begriff Friedensjournalismus meint eine deeskalierende Rolle von Medien und JournalistInnen, ihre Parteinahme für den Frieden und die Fähigkeit, friedensbildende Entwicklungen interessant und lebendig darzustellen.
Die Aufgabe des Friedensjournalismus besteht vor allem darin, über Friedensentwicklungen, -perspektiven und -visionen zu informieren. Das bedeutet z. B., der Medienwirksamkeit von Gewalt und Katastrophen eine andere Möglichkeit entgegen zu stellen und ebenso faszinierend und spannend darzustellen: positive Perspektiven, Visionen, Kooperation und Versöhnung. Oder es heißt, in Konflikten nicht nur die Unterschiede und das Konfliktpotential, sondern einen gemeinsamen Grund, eine Lösung zu recherchieren und den Prozess der Versöhnung und Friedensentwicklung zu begleiten und sichtbar zu machen. Solche manchmal für das an Sensationen gewöhnte Zuschauerauge langsam oder unscheinbar ablaufenden Prozesse ebenso spannend und interessant zu präsentieren wie bisher Gewalteskalationen, erfordert neue Wege für den Journalismus und seine Ausbildung. Deeskalierend oder visionär zu berichten, ist im journalistischen Repertoire eine noch wenig geübte Kunst. Es geht nicht nur um die schlichte Form der „Good News“; es geht um eine andere Perspektive des Journalisten, um die Perspektive der Anteilnahme, der Lösungsorientierung, des Lebens auf der Erde.

Der Friedensjournalismus hat die Aufgabe, zu zeigen und spürbar zu machen, dass es Dinge gibt, die wirksamer, interessanter, effektiver sind als Gewalt.
Welche Informationen sind es, die Freund und Feind an einen Tisch bringen? Welche Sprache ist geeignet, Friedensprozesse spannend darzustellen? Wie können Friedensinformationen so gesendet werden, dass sie einen iterativen (sich selbst verstärkenden) Prozess auslösen?

Wer so schreiben oder berichten will, braucht die Erfahrung, dass Friede möglich ist, auch in schwierigen Situationen. Er oder sie braucht realistische und glaubhafte Visionen für die oft aussichtslos scheinende Situation der Erde. Er braucht ein Erfahrungsumfeld der Friedensbildung.
Noch fehlen dem Friedensjournalismus nach meiner Wahrnehmung (ich lasse mich gern eines Besseren belehren) der Austausch auf hohem Niveau, Kooperation mit bestehenden und der Aufbau von neuen Medien und vor allem eine fundierte und engagierte Ausbildung.

Einige Prinzipien des Friedensjournalismus, wie ich ihn verstehe

1. Slow News: „Frieden ist die Fähigkeit, einen Konflikt kreativ und ohne Gewalt zu lösen. Ein Friedensjournalist schreibt weder für noch gegen Krieg, sondern über Friedensvisionen und friedensbildende Vorgänge. Friedensbildende Vorgänge sind immer gemeinschaftsbildende Vorgänge. Sie sind meistens subtil und dauern manchmal Jahre oder Jahrzehnte.“ (Johan Galtung)
Solche langsamen Prozesse spannend darzustellen, verlangt vom Journalisten, mitzufühlen und die Vorgänge nicht nur von außen, sondern auch von innen und aus der Perspektive aller Betroffenen wahrzunehmen und zu beschreiben. Solche Fähigkeiten lernt man nicht auf Schlachtfeldern, man lernt sie auch nicht im Alltagsgeschehen einer auf Konkurrenz ausgerichteten Medienlandschaft. Deshalb sollte eine Ausbildung für Friedensjournalismus eng mit einem Friedensprojekt zusammenarbeiten, das auf allen Ebenen Gemeinschaftswissen – das heißt unter anderem: soziales Wissen, Kommunikation, Ergänzung, Konfliktbearbeitung – erarbeitet, anwendet und lehrt.

2. Deeskalierend berichten: Berichte mit dem Fokus auf der Gewalttat verstärken die Wut und Hilflosigkeit und bereiten den Boden für neue Gewalt. Kriegsberichterstattung funktioniert oft wie Sportjournalismus: Man zählt die Bomben, so wie man Tore zählt. Doch aus menschheitlicher Perspektive ist der erfolgreiche Schlag gegen den Feind kein Tor und kein Sieg, sondern bedeutet wiederum Leid und Schmerz.
Ein Friedensjournalist verschweigt die Gewalt nicht, aber er erzählt die ganze Geschichte. Er fragt nicht nur: Wie viele Tote?, sondern: Wie kam es dazu? Und: Wie sieht von hier aus der Weg zum Frieden aussehen? Er lässt nicht nur Extremisten, Politiker und Militärs zu Wort kommen, sondern gemäßigte Menschen sowie Spezialisten für Konfliktlösung. Er weiß, dass es nie nur zwei Seiten gibt – wie beim Fußball, sondern viele Interessengruppen, von denen zahlreiche keine Stimme haben und andere immer im Verborgenen bleiben wollen.

3. Ein Friedensjournalist braucht Wissen über Konfliktlösung. Gewalt kann niemals Konflikte lösen – sie kann höchstens die andere Seite zum Verstummen bringen. Doch irgendwann wird sie sich wieder erheben. Auch ein Kompromiss ist in den seltensten Fällen eine nachhaltige Konfliktlösung – die Unzufriedenheit bleibt. Ein Konflikt ist noch kein Krieg, im Gegenteil, ein Konflikt ist ein Geschenk, durch das die Betroffenen zur Weiterentwicklung aufgefordert werden. Ein Konflikt wird niemals auf der Ebene gelöst, wo er entstanden ist. Ein Konflikt wird erst dadurch gelöst, dass eine Situation visioniert und erzeugt wird, die beiden Seiten mehr Vorteile bringt als die vorherige Situation. Diese Lösung zu recherchieren durch Gespräche mit Betroffenen und Sachverständigen, ist eine herausfordernde Aufgabe für Friedensjournalisten.

4. Empowerment statt Opferitis humana: Auch wer alles verloren hat, ist nicht nur Opfer, sondern ein Mensch mit Gedanken, Plänen, Interessen – und oft treffender Analyse. Eine weinende Frau vor ihrem zerstörten Haus zu fragen, wie es ihr geht, hat nichts mit Friedensjournalismus zu tun. Friedensjournalisten fragen, was sie jetzt tun werden, was ihrer Meinung nach den Konflikt beilegen könnte oder wie aus ihrer Sicht eine Lösung herbeigeführt werden könnte.

5. Die andere Seite sichtbar machen. Wo Volksgruppen getrennt werden und der Austausch unter ihnen verhindert wird, gedeihen Gerüchte. Die andere Seite wird dämonisiert, es entsteht der Boden für Krieg. Mauern in den Köpfen abzubauen, durch Information Brücken zu schlagen, ist Friedensjournalismus. „Ein Feind ist jemand, dessen Geschichte wir noch nicht gehört haben“, sagte Gene Knudsen Hoffman. Was die Menschen der anderen Seite bewegt, wonach sie sich sehnen, welche Musik sie hören und was sie gerne essen – das zu erfahren, bedeutet, den Feind wieder als Mensch wahrzunehmen. Der Friedensjournalismus findet Mittel, den gemeinsamen Boden zu sehen, auf dem beide Seiten stehen.
Ein Beispiel: Im Jugoslawienkrieg gab es Städte, die geteilt waren in Serben und Kroaten. Was bisher Nachbarn, Mitschüler, Freunde waren, waren jetzt Feinde. Mauern und bewaffnete Posten verhinderten einen direkten Kontakt; die Menschen kannten nur die Hetzpropaganda der anderen Seite. Der Friedensaktivist Wam Kat und sein elektronisches Netzwerk „ZaMir“ (Frieden) schufen ein Computernetz, das über Telefonleitungen und aberwitzige Umwege die Schüler beider Seiten zu Wort kommen ließ, lange vor der Erfindung sozialer Medien. Ein reger Austausch kam zustande; den Diskussionen über Musik und Liebe folgte die Feststellung, dass die Jugendlichen der anderen Seite sich nicht so sehr unterschieden. So wurde die offizielle Medienpropaganda an einigen Orten unterlaufen.

6. Visionär berichten. Die Lösung – also die Zeiten nach dem Krieg und der Besatzung – zu visionieren und die möglichen Wege dorthin zu recherchieren, ist Friedensjournalismus. Die Vision als innerer Bezugspunkt der Berichterstattung beeinflusst die Fragen und Auswahl der Informationen. Auf diese Weise können Berichte Mut und Lust auf Zukunft auslösen. Eine Vision für den gelösten Konflikt zu sehen, die Möglichkeiten ihrer Realisierung zu recherchieren und zu verbreiten, ist eine der wichtigsten journalistischen Formen der Zukunft.
Eine Beispiel: Der Holy Land Trust aus Bethlehem fragt auch nach hundert Rückschlägen des Friedensprozesses unermüdlich Bauern, Hausfrauen, Schüler, Kämpfer, wie ihr Leben nach der Besatzung aussehen wird. Man stelle sich vor, Nahost in 20 Jahren. Eine Föderation selbständiger Landstriche von Ägypten bis Libanon, von Tel Aviv bis Damaskus, eine Region mit offenen Grenzen, wo man morgens in Kairo frühstückt, mittags in Jerusalem betet und abends in Beirut tanzen geht. Utopisch? Vielleicht, aber wer hätte schon nach dem zweiten Weltkrieg an ein Europa ohne Grenzen geglaubt?

 


';