Terra Nova

Die Liebe zwischen Tochter und Vater

Dieter Duhm und Tochter Mara (Archivbild)

Von Dieter Duhm 

Es gab in unserer Gemeinschaft eine Zeit, da wollten wir keine männlichen Gottheiten mehr haben. Auch die Religion sollte sich aus der patriarchalen Klammer befreien. Statt Gott sagten wir Göttin. Dann kam eine mutige Frau und protestierte gegen diese Verwandlung. Sie wollte den männlichen Gott, den Vater, den Erlöser. Warum wollte sie das? Sie hatte als kleines Mädchen – wie die meisten Mädchen – eine tiefe Beziehung zu ihrem Vater. Er war das Oberhaupt der Familie, er schien alles zu wissen und zu können, war immer mit wichtigen Dingen befasst und nur selten zu Hause. Dadurch war der weiblichen Projektion Tür und Tor geöffnet.
Der Vater: Das war der Inbegriff von männlicher Kraft und Weisheit, ein Pol der ewigen Sehnsucht. So entstand im Laufe der patriarchalen Geschichte ein übermächtiges Vater-Imago, welches heute unbewusst in allen Frauen wirkt, wenn sie auf der Suche sind nach ihrem Prinzen, nach dem starken Mann, in dessen Armen sie geborgen sind.
Wir erkennen heute diese Zusammenhänge ohne Verachtung und Ironie, denn es sind die realen Zusammenhänge einer archetypischen Seelenwelt zwischen den Geschlechtern. Das positive Vaterbild ist ja nicht nur die Folge einer patriarchalen Fehlentwicklung, sondern es ist verankert in der seelischen Architektur aller Menschen, nicht nur der Frauen. Aber in der weiblichen Seele ist es verbunden mit einer tiefen Sehnsucht nach Hingabe.
So konnte Mechthild von Magdeburg sagen: „Herr, minne mich, minne mich lang …“ Es ist tatsächlich ein Urwunsch der weiblichen Seele.
Es wird eine Zeit kommen, in der emanzipierte Männer in der Lage sind, diesen weiblichen Wunsch ohne Verachtung, ohne Missbrauch und Erniedrigung zu erkennen, zu lieben und zu erfüllen. Und es wird eine Zeit kommen, in der emanzipierte Frauen sich gern in die Hände der neuen Männer begeben. Denn beide Geschlechter gehören für immer zusammen, ein Teil der weiblichen Heimat liegt beim Mann – und ein großer Teil der männlichen Heimat liegt bei der Frau. Das sind die Strukturen des Lebens im Heilungsraum der heiligen Matrix.
Moderne Frauen haben viel unternommen, um die weibliche Seele vom Wunsch nach dem Mann zu befreien. Aber auch sie haben einst diese männliche Autorität, die sie heute bekämpfen, geliebt und verehrt. Hätten sie einen Vater gehabt, der sie außerhalb aller patriarchalen Strukturen beschützt und geliebt hätte, so wären wir heute in einer ganz anderen Emanzipationsdebatte. Es wäre wohl auch ein politischer Feminismus entstanden, aber ein anderer, der sich nicht mehr gegen den Mann richtet,
sondern gegen ein System, in dem keine liebende Männlichkeit und keine liebende Weiblichkeit möglich war. (…)
Beide Geschlechter, die Frauen wie die Männer, befinden sich heute in einer inneren Entwicklung, die sie befähigt, die genannten traumatischen Zusammenhänge zu erkennen und aufzulösen. Erst wenn beide Geschlechter in der Lage sind, sich ohne falsche Überhöhung und ohne familiäre Wutgeschichten auf gleicher Augenhöhe zu begegnen, kann diese verdrehte Welt in Ordnung kommen.

Lies hier das komplette Kapitel.

Aus dem Buch „Und sie erkannten sich. Das Ende der sexuellen Gewalt“ von Dieter Duhm und Sabine Lichtenfels


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