Terra Nova

STUDIENTEXT DER WOCHE: Nur Stämme werden überleben


Pflanzung eines Friedensbaums in Chorin

von Dieter Duhm
Dieser Satz von Vine Deloria jun., einem Indianerführer unserer Zeit, ist sehr erstaunlich. Warum sollen nur Stämme überleben? Sie sind doch durch ihre Masse viel schwerfälliger als Einzelne, können sich in Fluchtsituationen weniger bewegen und haben meistens auch noch interne Probleme, die ein Einzelner nicht hat. Und was heißt überhaupt »Stämme«? Wir sind doch nicht bei den Hottentotten.
Der Satz hat es mit zwei Themen zu tun: mit dem Thema der Gemeinschaft und mit dem Thema des Überlebens. Er bringt beide Themen lapidar zusammen, das ist seine Größe, seine Wahrheit und seine Botschaft.
Welche Art von Überleben ist hier gemeint, und um welche Art von Gemeinschaft könnte es sich entsprechend handeln? Ich will versuchen, den Sinn des Satzes zu erschließen und auf unsere Verhältnisse zu übertragen.
Die Überlebensfähigkeit der kommenden apokalyptischen Übergangszeit hängt in allererster Linie davon ab, in wie weit der Mensch gemeinschaftliche bzw. kommunitäre Qualitäten entwickelt hat. Die anstehende Transformation, welche fürs Überleben der Einzelnen unerlässlich ist, ist die Umwandlung der bisherigen privaten Lebens- und Denkweise in eine kommunitäre. Mit dieser Umwandlung entstehen die neuen Fähigkeiten der Wahrnehmung und Kooperation. Durch die Ablösung des Denkens vom privaten Ego werden Dinge und Zusammenhänge sichtbar, die fürs Überleben notwendig sind, zum Beispiel das Phänomen der kommunitären Feldbildung. In dem Maße, wie eine Gemeinschaft zusammenwächst, entwickelt sie die Fähigkeit zur geistigen Feldbildung, d.h. sie baut Felder auf für die anstehenden Fragen und Aufgaben, auch Felder für mögliche Lösungen, die es dem Einzelnen ersparen, alle Irrtümer zu durchlaufen oder alles mit eigener Kraft zu erreichen. So kann sie z.B. das Feld aufbauen, lange in eiskaltem Wasser zu schwimmen, ohne zu erstarren oder krank zu werden, lange ohne Nahrung zu leben, lange im Gebet zu verweilen, auf Liebesentzug nicht mit Rache zu reagieren, die Abfälle nicht wegzuschmeißen, die geistige Energie zu sammeln statt zu zerstreuen usw. In dieser Feldbildung werden von allen Beteiligten Lernprozesse durchlaufen, für die ein Einzelner sehr viel länger brauchen würde.
(…) Die Gedanken klingen befremdlich, wenn man sie mit dem vergleicht, was bei uns in den letzten Jahrzehnten an Kommunen und Gemeinschaftsprojekten gelaufen ist. Es gab da eigentlich nur zwei Varianten: entweder die kollektivistische Gemeinschaft mit charismatischem Führer oder die pure Pseudogemeinschaft als Austragungsort individueller Ego‑Ansprüche. Beide Gemeinschaftstypen fallen nicht unter die Kategorie der kommunitären Gemeinschaft, denn beide folgen alten Strukturen und reproduzieren sie. Die kommunitäre Gemeinschaft, die sowohl den Kollektivismus als auch den Individualismus überwindet, ist die geschichtlich neue Form der Gemeinschaftsbildung beim Übergang zu einer neuen, gewaltfreien, planetarischen Gesamtkultur.
(…) Zurück zum Titel »Nur Stämme werden überleben«. Die Aussage darf nicht wörtlich genommen werden. Es wäre ja fürchterlich, wenn alle anderen sterben würden. Die Gemeinschaftsgründungen und kommunitären Experimente der Siebziger und Achziger Jahre sind so ziemlich alle gescheitert. Der Mut zu einem nächsten Versuch ist im allgemeinen nicht gerade immens. Aber die Sehnsucht ist nach wie vor da. Hätten wir schon ein morphogenetisches Feld für funktionierende Gemeinschaften, so würden sich Millionen von Menschen überall auf der Erde sofort daran orientieren. Es geht also jetzt bei der Frage der Gemeinschaft um die Entwicklung eines zeitgeschichtlich richtigen und wirksamen Feldes. Dieses Feld kann nur in der Praxis aufgebaut werden. Ernsthafte Entwicklungen sind in Gang. Durch diese Entwicklungen wird in einigen Jahren das allgemeine Überlebensfeld entstehen. Überleben werden aber sicher nicht nur diejenigen, welche real in Gemeinschaften leben, sondern alle, die mit solchen Überlebensfeldern in Resonanz stehen. Sie werden wahrscheinlich rechtzeitig erfahren, was für sie zu tun ist. Im Falle einer »kompatiblen Feldbildung«, d.h. im Falle einer komplexen und evolutionsgemäß richtigen Informationsbildung zum Thema der Gemeinschaft wird diese Information sofort im Informationssystem aller Menschen genetisch wirksam werden.

Aus dem Buch: Dieter Duhm: Politische Texte für eine gewaltfreie Erde

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