Terra Nova

Editorial Terra Nova vom 28.10.21

„Das Ego ist schwer wie ein Berg. Aber unsere göttliche Natur ist leicht wie eine Feder.“
Sabine Lichtenfels im Ring der Kraft dieser Woche

 

Liebe Freunde und Freundinnen,
in Tamera gibt es nach langer Zeit wieder (einige wenige) Gäste: Menschen aus der Defend the Sacred Alliance treffen sich erstmals wieder seit zwei Jahren, denn viele konnten seit Corona nicht mehr reisen. Auch jetzt können nicht alle dabei sein, da sie die Reiseauflagen nicht erfüllen konnten. Sie berichten von herausfordernden Situationen rund um die Erde. Unter den Corona-Maßnahmen leiden am meisten die Ärmsten und Unterprivilegierten, Armut und Hunger verstärken sich, ganze Slums wurden abgeriegelt. Es ist wichtig, in solchen Zeiten Perspektiven, Menschen und Orte zu kennen, die in Liebe stehen bleiben. An ihnen können wir uns orientieren, wenn wir selbst unter Druck geraten. Und wir sollten wissen, dass unsere Haltung für andere entscheidend sein kann. Ob wir uns wegducken und faule Kompromisse machen, weil die Zeiten unbequem werden, oder ob wir bei unseren Werten stehen bleiben, das ist nicht nur für uns selbst wichtig. Sondern für alle, die uns erleben, und für das Feld, das unsere Realität immer neu schafft.
Klingt es unbescheiden, wenn ich sage, dass unsere Haltung und unser Verhalten eine Wirkung hat – letztlich eine globale Wirkung?
Im Studientext dieser Woche schreibt Sami Awad aus Palästina: „Wenn du glaubst, kannst du größere Dinge tun als Jesus.“ Ich halte das für die tiefste Bescheidenheit, zu der wir fähig sind: uns von allen Bedenken befreien und das tun, was gebraucht wird. Kennst du auch die Geschichte, wo eine Mutter in der Lage war, einen LKW anzuheben, weil ihr Kind darunter eingeklemmt war? Ich weiß nicht, woher sie stammt, aber ich fühle, dass wir ungeahnte und noch ungenutzte Kräfte tragen. Jetzt ist die Zeit, wo sie gebraucht werden. 

Ich grüße dich herzlich!

Christa Leila



Wenn du glaubst, kannst du große Dinge tun

von Sami Awad, Palästina

Unsere Erde braucht eine globale Revolution. Wir sind alle Teil davon, und wir sind alle verantwortlich für sie. Es ist eine Revolution, in deren Kern die Liebe steht. Ich frage mich: Welche liebende Verbindung können wir unter uns erhalten, wenn wir wieder an unsere Orte zurückkehren? Wie können unsere Freunde aus Kolumbien diese Verbindung halten, wenn sie wieder in ihr schwieriges Leben zurückkehren? Oder unsere Freunde aus Indien, aus Israel, wenn sie ihre Aufgaben dort wieder aufnehmen? Ich gehe zurück nach Palästina. Ich arbeite im gewaltfreien Widerstand, im Gemeinschaftsaufbau, im Weiterverbreiten der Friedensnachrichten. Ich verstehe mehr und mehr, dass meine Arbeit Teil eines globalen Vorgangs ist, der uns alle verbindet. Wir wollen tatsächlich die Welt verändern. Wir sind nicht nur hier an diesem ruhigen Ort, um darüber zu sprechen. Wir gehen zurück in unsere Konfliktgebiete. Wir werden Menschen treffen, die in Not sind. Wir wollen ihnen Antworten geben. Wir wollen ihnen helfen, die Kraft im Inneren zu entdecken, mit der sie ihre Konflikte und ihre Probleme lösen können.
Es gibt Momente, da habe ich eine starke Vision vom Heiligen Land, von Israel-Palästina. Es ist kein Fantasieland, kein Land in den Wolken, sondern das Land von heute, es sind die Menschen von heute. Aber über allem liegt eine Aura von Ruhe und Frieden: über den Bergen, den Blumen, den Menschen. Es gibt keine Trennung von Israelis oder Palästinensern, von Juden, Muslimen oder Christen. Es gibt nur Menschen. Ich glaube, wir alle kommen aus einer ursprünglichen Einheit. Wir alle werden an den Punkt kommen, wo wir wieder eins sein werden. Keine Nationalitäten werden zwischen uns stehen. Keine Religionen werden zwischen uns stehen.

Ich gehe zurück mit der Kraft, die eine Veränderung möglich macht: Das ist die Kraft der Gewaltfreiheit. Durch die Kraft der Gewaltfreiheit zeigen wir unsere Solidarität, unser Mitgefühl, unsere Fähigkeit, gegen Ungerechtigkeit Widerstand zu leisten. Wir alle leben zwar auf dieser Erde, aber wir stammen nicht von hier. Wir sind Teil eines Universums, einer größeren Existenz. Wenn ich nach Indien gehe, ist es, als ginge ich zu einem Nachbarn. Wir alle sollten zu unseren Nachbarn gehen. Nimm Anteil an dem, was in der Welt geschieht. Gehe und diene. Gehe und heile. Gehe und liebe.
Ich liebe diesen Mann, der vor 2.000 Jahren auf der Erde herumlief und unglaubliche Dinge tat. Er heilte die Kranken, er lief über das Wasser, er machte Blinde sehend. Man kann es glauben oder nicht, aber das sind die Geschichten, die man erzählt. Dieser Mann sagte: „Wenn ihr glaubt, könnt ihr größere Dinge tun als ich.“
Wenn du glaubst, kannst du größere Dinge tun als Jesus. Diese Aussage zeugt von Bescheidenheit, Liebe und Vertrauen in den Menschen, in die menschliche Kraft, die wir in uns haben. Wir können größere Dinge tun als die Propheten, als die heiligen Männer. Wenn wir glauben. Und das ist die Frage: Woran glaube ich? Woran glaubst du? Was ist das Beste in mir? Was ist das Beste in euch? Was verbindet uns? Was macht es möglich, dass wir die Welt verändern?
Die Antwort auf all diese Fragen führt uns zu der Kraft, die in uns liegt und mit der wir Berge versetzen können.

Sami Awad kommt aus einer christlich-palästinen-sischen Familie, die durch den Krieg 1948 aus Jerusalem vertrieben wurde. Eines seiner Vorbilder war sein Onkel Mubarak Awad, Lehrer für Gewaltfreiheit im Geiste Gandhis. Während der ersten Intifada schloss sich Sami noch als Jugendlicher dem gewaltfreien Widerstand gegen die israelische Besatzung an. Mehrmals entkam
er in letzter Sekunde der Inhaftierung und floh schließ-lich in die USA. Dort studierte er Friedensforschung und Konfliktlösung. Zurück in Palästina gründete er den Holy Land Trust.

Aus dem Buch: Defend the Sacred – wenn das Leben siegt, wird es keine Verlierer geben

 


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