(Sabine Lichtenfels während der Pilgerschaft durch Israel/Palästina)
von Sabine Lichtenfels
In Israel/Palästina begegnete uns der Kampf in seiner äußeren Gestalt. Der Krieg um Land und Überleben. Der Kampf um die elementaren Dinge des Lebens stand im Zentrum des Geschehens. Hier steht die menschliche Frage, die Frage zwischen Mann und Frau, die Frage des Geschlechterkampfes nicht so offensichtlich im Zentrum. Und doch durchzieht der Geschlechterkampf in feinen Nervenbahnen das latente Gewebe aller Szenarien auf dieser Erde. Ohne Beendigung des Geschlechterkampfes kann es keinen Frieden geben. Wir befinden uns global in den letzten Untergangskämpfen des Patriarchats. Hätten Männer und Frauen es geschafft, ihrer ursprünglichen Liebessehnsucht zueinander zu entsprechen, hätten sie kulturell ein ausgewogenes und liebendes Verhältnis miteinander aufbauen können, wäre es ihnen gelungen, die beinharten Fronten, die in den letzten Jahrtausenden unter ihnen entstanden sind, zu überwinden, würden sie dann zulassen, dass ihre Söhne und Töchter in sinnlose Kriege ziehen? Würden wir Regierungen über uns herrschen lassen, die uns zur Unmenschlichkeit zwingen? Würden wir uns einer Religion unterwerfen, die uns zu Lebensformen zwingt, die unserer ursprünglichen Sehnsucht in keiner Weise entspricht? Würden wir Religionen folgen, die den Aspekt der Göttin vollkommen verdrängt haben?
Gibt es eine zentrale Ursache, einen Irrtum, der immer und überall derselbe ist? Gibt es eine innere Drehung zu vollziehen, die aus dem Unheil ins Heil führt? Stimmt es möglicherweise, dass das, was wir im Äußeren erleben, nur ein Abbild unseres eigenen seelischen Dramas ist, immer den gleichen Mustern folgend? Spielt sich das, was in den Krisengebieten auf den Gipfel getrieben wird, mikroskopisch auch in unserem Innern ab? Sind Makrokosmos Welt und Mikrokosmos Mensch noch viel mehr identisch, als wir jemals bereit waren zu akzeptieren?
Auf meiner Pilgerschaft durch Europa bin ich fast überall auf der Reise auf Beziehungskonflikte gestoßen. Wo ich auch hinkam, traf ich auf Ehescheidungen, auf zerbrochene Partnerschaften, die nicht mehr in der Lage waren, sich die Wahrheit zu sagen. Manche waren nicht einmal mehr fähig, miteinander zu reden, so tief waren die Verletztheit und der daraus resultierende Kampf geworden.
Sie alle suchen die Ursache und die Schuld auf einer persönlichen Ebene. Sie alle suchen nach der Lösung auf einer Ebene, wo sie nicht zu finden ist. Und alle glauben sie daran, dass einer die Hauptschuld trägt.
Seit vielen Jahren bin ich Arbeiterin an beiden Fronten: An der Überwindung der äußeren Mauern des Krieges ebenso wie an der Überwindung der inneren Angst- und Wutpunkte. Und seit vielen Jahren weiß ich, dass hier ein traumatischer Punkt liegt zwischen den Geschlechtern, den wir alle teilen und der geheilt werden muss. Der Krieg, den wir im Äußeren erleben, spiegelt sich in unserem Innern wider. Wenn wir den Krieg im Äußeren überwinden wollen, müssen wir Zeuge werden von unseren inneren Schlachten. Wir müssen unser eigenes Kriegsschauspiel durchschauen und uns eingestehen, wie wir, mal mehr und mal weniger offensichtlich, zum Krieg beitragen. Wir müssen den Krieg im Innern tatsächlich beenden. Und bevor wir mit irgendjemand anderem Frieden schließen können, müssen wir Frieden geschlossen haben mit uns selbst. Und wir werden den Krieg erst beenden, wenn wir etwas Höheres, etwas Umfassenderes gesehen und gelernt haben. Was anderes könnte das Umfassendere sein wenn nicht die Liebe. Menschen, die gelernt haben zu lieben, auch sinnlich zu lieben, sind nicht mehr regierbar. Sie haben die Macht und das Wissen, um sich den Kriegen zu entziehen.
Aus dem Buch: Grace – Pilgerschaft für eine Zukunft ohne Krieg