Terra Nova

Editorial

18.3.2021
Liebe Individuen,
Vor einigen Tagen durfte ich ein Tagesseminar geben, es ging um das Thema Gemeinschaft. Die Teilnehmer waren so mutig, trotz der vielen Auflagen einen gemeinsamen intensiven Lern- und Erfahrungs-Tag zu verbringen.* Doch Ängste kamen auf beim Thema Freiheit und Gemeinschaft. Wie viel Freiheit hat der Einzelne in Gemeinschaft? Bedeutet Gemeinschaft nicht immer Anpassung und Gruppendruck? Was ist mit meiner Individualität? Ist es nicht so, dass ich die wirklich wichtigen Heilungsprozesse meines Lebens nur allein vollbringen kann und muss?Gemeinschaft ist heutzutage ein verletzter Begriff. Doch Gemeinschaft, wie sie hier gemeint ist, ist ja keine Monokultur und kein Zwangskollektiv. Eine Gemeinschaft ist – wie ein Biotop – so stark wie die individuelle Kraft und Verschiedenartigkeit ihrer Mitglieder, die sich für ein gemeinsames Ziel zusammentun. Und umgekehrt: Eine echte Gemeinschaft bringt viel tiefere Individualität hervor als jede Single-Gesellschaft. Auf einer Tafel in Tamera steht der Kraftsatz, der mich immer wieder neu inspiriert: “Das Individuum ist ein Gemeinschaftsunternehmen.” Ich habe an mir und anderen immer wieder erlebt, dass der Austausch und das Feedback anderer Menschen sowie das Vertrauen, das unter uns entsteht, eine ganz neue Dimension von Individualität hervorbringt. Was ich wirklich selbst denke, erringe ich nicht nur durch Allein-Sein, sondern ganz stark im Kontakt mit anderen. Je tiefer und wahrer ich andere Menschen an meinen Erkenntnissen, Innenvorgängen, Zweifeln teilhaben lasse, je mehr ich mich für ihre Rückkopplung und Resonanz öffne, je mehr ich mir reibe, aber auch bereit bin, meine Position immer wieder im Spiegel anderer in Frage zu stellen, je mehr Zeit ich für echten Kontakt investiere, um so mehr erfahre ich, wer ich wirklich bin und was mein Beitrag für die Welt ist.
Der heutige Studientext hat genau das Thema: Individuum und Kollektiv.
Herzlichen Gruß
Christa Leila Dregger

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