Terra Nova

Editorial vom 25. August 2021

„Die Erde wird heilen, wenn die Geschlechter sich gegenseitig erkennen, unterstützen und liebend kooperieren.“
Aus der Ankündigung des Symposiums „An der Quelle der Weiblichkeit“


Liebe Terranaut, liebe Terranautin,

Ich freue mich sehr auf das Symposium „An der Quelle des Weiblichen“ im Frauenmuseum Bonn vom 10.-12. September. Sabine Lichtenfels, Rosemarie Kirchmann, Susanne Fischer-Rizzi und ich – Christa Leila Dregger – werden über die Geschichte der Weiblichkeit sprechen und gemeinsam Zukunftsperspektiven einer partnerschaftlichen Kultur erarbeiten.
Wir hatten das schon im Mai geplant, es musste wegen Corona ausfallen, wir haben dafür ein mehrstündiges Webinar mit diesem Thema gemacht, das du hier nachhören kannst. Ich war fasziniert von der Kraft und dem geschichtlichen Wissen der teilnehmenden Frauen, von ihrer Einordnung der Geschlechterdynamik, von ihrem Engagement für eine Kultur der Balance und der Liebe. Ich glaube, die Teilnehmer und Teilnehmerinnen können sich auf ein sehr inspirierendes Wochenende freuen. 
Ich selbst beschäftige mich seit Jahrzehnten mit der Geschlechter-Dynamik, mit Frauenwissen und partnerschaftlicher Kultur, habe die Zeitschrift „Die weibliche Stimme“ zu diesem Thema herausgebracht und Frauenkongresse organisiert. Mir geht es mittlerweile wie der feministischen Dokumentarfilmerin Cassie Jaye, die nach ihrem Film „The Red Pill“ sagte: Ich bin keine Feministin mehr. Ihr Film beleuchtet ihre Erkenntnissreise dazu, dass wir kulturell einen blinden Fleck haben: Nicht immer sind Frauen die Opfer und Männer die Täter von Gewalt. Ich war kürzlich bei einer öffentlichen Aufführung des Films. Nachher teilten einige Männer sehr pur mit, wie sie selbst in ihrem Leben Gewalt von Frauen erfahren haben – in ihrer Partnerschaft, durch Missbrauch in der Kindheit oder durch Manipulationen beim Streit um die Kinder, den fast immer Mütter für sich entscheiden. Natürlich wusste ich, dass das geschieht – aber ich war erschüttert, wie viele Männer das so schmerzhaft erleben und wie es ihr Leben ruiniert: die Scham, dass sie überhaupt Opfer sind, wo sie doch als das starke Geschlecht gelten, ließ sie lange schweigen, viele wurden depressiv und vereinsamen. Ich musste erkennen, dass ich den Schmerz von Männern bislang kleingeredet und sie an dieser Stelle im Stich gelassen habe.
Ich erwähne das nicht, um die sexuelle Gewalt gegen Frauen z.B. bei Massenvergewaltigungen als Kriegswaffe kleiner zu reden. Aber sexuelle Gewalt ist nichts Männliches. Ich habe keinen einzigen Mann in meinem Bekanntenkreis, dem ich Vergewaltigung zutrauen würde. Sexuelle Gewalt ist Teil unseres gemeinsamen geschichtlichen Erbes des Geschlechterkampfes. Um diesen zu überwinden, kommen wir allein mit Feminismus nicht weiter. Frauen und Männer müssen gemeinsam daran arbeiten. Der Untertitel des gemeinsamenen Buches von Sabine Lichtenfels und Dieter Duhm lautet: „Das Ende der sexuellen Gewalt.“ Als Studientext wähle ich Gedanken aus dem Vorwort von „Und sie erkannten sich“. Das Buch gehört zu dem Tiefsten, was ich bisher über das Thema gelesen habe.

Herzlich
Christa Leila

„Und sie erkannten sich“

Von Sabine Lichtenfels und Dieter Duhm

Was zwischen zwei Liebenden geschieht, geschieht in der einen oder anderen Form überall auf der Erde. Was wir in unserem Buch beschreiben, ist die Verallgemeinerung eines inneren Themas, das auf uns Menschen zukommt, wenn wir – ein Mann und eine Frau – den Problemen nicht mehr ausweichen, die seit vielen Generationen die Liebe der Geschlechter belasten – denn nichts quält uns mehr als die Verzweiflung in der Liebe, und nichts ist schöner als eine Liebe, die in Erfüllung geht. (…)
Unabhängig von allen Geschlechterthemen unserer Zeit, unabhängig von unserer momentanen sexuellen Identität steht im Kern der menschlichen Gesellschaft das Zusammenleben der Geschlechter. Ihre Anziehung oder Abstoßung, ihre sexuellen Signale und Verkabelungen, ihre Hoffnungen und Enttäuschungen ziehen sich wie ein geheimes Nervensystem durch die ganze menschliche Gesellschaft. Mann und Frau – die beiden Hälften des Menschen sehnen sich nacheinander, verfehlen sich, bekämpfen sich und suchen sich, bis sie sich gefunden haben. Sie müssen sich finden, nicht nur zu zweit, sondern weltweit, denn erst dann kann die tiefste aller Wunden heilen, die Wunde in der Liebe. (…)
Was da draußen in der Welt passiert, ist ein Abbild von dem, was in uns selbst geschieht. Das Problem liegt zwischen uns Menschen. Hier in unserem Alltag und unseren alltäglichen Beziehungen, ganz besonders in den Liebesbeziehungen, liegt das Thema, um das die Welten kreisen.
Um unser eigenes Liebesleben in Ordnung zu bringen, müssen wir aus unserem privaten Horizont aussteigen und erkennen, welches globale und menschheitliche Thema hier zu lösen ist. Es geht dann nicht mehr nur um individuelle Therapie, sondern um die Grundlegung einer humanen Kultur. Dies war der Schlüssel für die konkrete Utopie der globalen Heilungsbiotope.
Daran arbeiten wir seit vierzig Jahren. Und je länger wir daran arbeiten, desto klarer formt sich eine Ahnung und eine Vision, die sich um das Thema der Liebe dreht, der Menschenliebe, der Tierliebe und der Gottesliebe, im Kern um das Thema der Geschlechterliebe. Dieses Kernthema stand von Anfang an im Zentrum unseres Projekts. Was in einer vierzigjährigen Gemeinschaftserfahrung dabei herausgekommen ist, wollen wir in diesem Buch beschreiben.



';