„Der wirksamste Widerstand besteht darin, das Neue aufzubauen – und mit den Widerständen umzugehen, die dann auftreten.“ Christoph Pfluger, Herausgeber Zeitpunkt.ch
Liebes Terra Nova Netzwerk,
Gestern hörte ich die Aufzeichnung eines Gespräches von Sami Awad, dem Lehrer für gewaltfreien Widerstand aus Bethlehem, mit Gabor Maté, dem bekannten Traumaforscher aus Vancouver. Gabor Maté hat als jüdisches Kind den Holocaust knapp überlebt – und gehört heute zu den profundesten Kritikern der israelischen Kriegspolitik. Sami Awad, den wir in Tamera von vielen Besuchen und vielen gemeinsamen Aktionen kennen, befragte ihn darüber, warum ein so mächtiges Land wie Israel so heftig auch gegen gewaltfreie Friedenskräfte vorgeht. Woher die Angst?
(Hier könnt ihr das Gespräch vom 1. Mai anschauen und anhören – es ist auf englisch…)
Es war ein berührendes Gespräch darüber, was das kollektive Trauma mit Menschen und ganzen Gesellschaften macht. Das Narrativ eines traumatisierten Kollektivs kann so stark werden, dass nur noch gilt: Wer nicht für uns ist, ist gegen uns. So werden auch Kritiker aus den eigenen Reihen sofort ausgegrenzt. Gabor Maté und viele andere jüdische Israel-Kritiker, die sich an den derzeitigen Protesten an den Universitäten in den USA beteiligen, erleben das. Auch in Deutschland werden reflexartig die Friedensstimmen – wie zum Beispiel diese Woche an der FU Berlin – von Politik und großen Medien als „Israel-Hasser“ bezeichnet.
Auf die Frage, was man tun kann angesichts des Leids der Palästinenser, sagte Maté, er sehe keine schnelle Lösung. Standhaft bleiben, das Herz offen zu halten, nicht die Augen vor dem Leiden zu verschließen – das helfe gerade mehr als Aktionismus. Selbst in den Konzentrationslagern der Nazis habe es einzelne Menschen gegeben, die mit enormer seelischer Kraft bei all dem unermesslichen Leid standhaft blieben und so ein Licht in der Dunkelheit für ihre Mitgefangenen waren.
Sami berichtete von einer alten Frau in einem Flüchtlingslager, die von einem Journalisten befragt wurde, wie sie mit der Besatzung umgehe. Und während sie fortfuhr, ihr Brot zu backen, sagte sie: „Die Osmanen waren hier – und sind wieder gegangen. Die Engländer waren hier und sind wieder gegangen. Jetzt sind die Israelis hier – und werden eines Tages auch wieder gehen.“
Sicher hat sie Recht – aber was ist mit dem unerträglichen Leid, das jetzt die Menschen in Rafah und anderen Orten Gazas und der Westbank erleiden? Können wir nichts für den Frieden tun? Was ist unsere Antwort – unsere Verantwortung?
Langsam breiten sich die Proteste an den Unis aus. Jetzt dran zu bleiben, trotz der Widerstände, Strafen und Beschuldigungen – das könnte etwas bewirken. So wie einst in den Vietnam-Protesten – irgendwann ist die Empörung mächtiger als das Narrativ. Das ist auch der Grund, weshalb auch gewaltfreie Widerstandskämpfer eine Bedrohung für ein gewalttätiges System sind.
Ich erinnere auch an den neuesten Text von Dieter Duhm. Darin schreibt er von der Vision, dass Tausend weiß gekleidete Frauen in Gaza etwas bewirken könnten. Auch im Ring der Kraft vom vergangenen Monta bekräftigt Sabine Lichtenfels diese Idee. Aus Tamera sind jetzt vier Menschen – Aida, Uri, Nora und Frederick – nach Israel-Palästina aufgebrochen, um für den Frieden zu wirken. Hier findet ihr das Video und eine Zusammenfassung.
Unter anderem schlägt Sabine vor, dass wir uns alle in dieser Zeit weiß kleiden und damit ein Zeichen setzen.
Gute Inspiration!
Christa