„Zu intelligent, um glücklich zu sein“ ist ein Buch, das mir half, mich selbst besser zu verstehen. Es besteht der Verdacht, dass tatsächlich das exzessive Denken verantwortlich für meine melancholische Grundstimmung ist. Seit ein paar Jahren lerne ich nach und nach, anders zu denken. „Treffen sich zwei, einer kommt nicht“, ist mein Lieblingswitz. Erst heute entdecke ich, dass er eine Art Koan ist und mein Lebensgefühl in unserer modernen Konsumwelt zum Ausdruck bringt.
Ich wurde 1983 in der DDR geboren und wanderte auf der Suche nach dem Geheimnis des Lebens mit 22 Jahren allein nach Frankreich aus. Inzwischen lebe ich seit über zehn Jahren auf Mallorca. Ich habe drei Fremdsprachen von Null auf gelernt und spreche sie inzwischen fließend. Ich rede viel und schnell. Manchmal hängen die Leute an meinen Lippen, stellen weitere Fragen oder debattieren mit mir, was ich liebe. Manchmal schweift ihr Blick ab und sie werden müde. „Du bist anstrengend“, sagen sie dann. Mein Lieblingsnachtisch ist Coulant au Chocolat, ein kleines Schokoküchlein, das außen leicht knusprig und innen noch flüssig ist – einer der Gründe, warum ich nach Frankreich auswanderte.
Manova brachte mich nach Hause. Zurück zu meiner Muttersprache. Als ich Manova kennenlernte, war sie noch männlich und hieß Rubikon. Ein deutsches Online-Magazin, das sich vor allem der Ideologie-, Herrschafts- und Medienkritik verschrieben hat. Den Namen mussten wir wegen der Nutzungsrechte ändern, das Team ist dasselbe geblieben. Und die Arbeit in diesem Team schenkt meinem Leben inzwischen seit fast genau sieben Jahren Sinn und Gemeinschaft – zwei Anker, die mir bis dahin fehlten.
Unser Magazin ist im deutschsprachigen Raum einzigartig, weil wir unsere Werte nicht nur theoretisch beschreiben, sondern selbst leben. Bei uns darf jeder seine Stimme einbringen. Manova vereint nicht nur ein kleines Team aus idealistischen Redakteuren, Lektorinnen, Übersetzerinnen und Programmierern, sondern inzwischen auch 1.144 „engagierte Autorinnen und Autoren verschiedenster Couleur: vom Profijournalisten über Schüler bis hin zu Krankenpflegern und Anwältinnen. Wir setzen auf Vielfalt statt auf Machtkonzentration, auf Kooperation statt auf Konkurrenz“.
Was uns ebenfalls auszeichnet: Wir wollen, dass alle Menschen Zugang zu Information haben, sodass unsere Beiträge von allen kostenlos und ohne irgendein Konto anlegen zu müssen, gelesen werden können. Wir nutzen keine Cookies und schalten keine Werbung. Unsere Arbeit finanzieren wir nur durch die Spenden unserer Leser, die es sich leisten können. Es begeistert mich immer wieder aufs Neue, dass das funktioniert. Es zeigt, dass ein anderes Wirtschaftsmodell möglich ist.
Ich kam durch eine Kritik zum Projekt dazu: Eines Tages schickte mein Onkel mir den Link zu Rubikon. All die investigativen und aufklärenden Artikel über die Fassadendemokratie, die manipulative Berichterstattung der Leitmedien und die Macht des militärisch-industriellen und digital-finanziellen Komplexes faszinierten und entmutigten mich gleichermaßen. Meine Frage war: Was machen wir mit diesen Informationen?
Ich schrieb dem damaligen Herausgeber eine E-Mail mit Lob für die Aufklärung und Kritik für den Mangel an Perspektiven. Seine Antwort: „Schreib doch selbst etwas dazu.“ Ich nahm das Angebot an und mein erster Artikel erschien: „Trotz alledem! Ein Lösungsvorschlag für einen gesunden Umgang mit Chaos und der Nachrichtenflut.“ (1) Andere Autorinnen mit einem konstruktiven Ansatz schlossen sich mit mir zusammen und wir gründeten eine Teilredaktion für mutmachende Beiträge (2), die ich seitdem leite.
So entwickelte sich nun unser Medienangebot mit drei Schwerpunkten:
„Unser Schwerpunkt Nr. 1: Ideologie-, Herrschafts- und Medienkritik. (…)
Unser Schwerpunkt Nr. 2: Debattenkultur. Klima, Feminismus, Gendern … Trigger-Themen brauchen Austausch und Gespräche auf Augenhöhe. In unserer Kolumne „Debattenraum“ stehen sich fundiert argumentierte Positionen einzelner Autorinnen und Autoren gegenüber. Denn Demokratie lebt von Meinungsvielfalt – seit den Corona-Maßnahmen wissen wir, wie schwer diese auszuhalten ist. Wer hat gesagt, dass Demokratie einfach ist? Nehmen wir die Herausforderung an!
Unser Schwerpunkt Nr. 3: neue Wege und Zuversicht. Wozu all die Aufklärung und Kritik, wenn wir am Ende in einem Gefühl der Hilflosigkeit verharren? Wir können viel bewegen, und viele Menschen bewegen bereits viel. Wir machen sie sichtbar, damit andere es ihnen nachmachen können.“
Mir fällt es schwer, an Auswege zu glauben, die nicht in eine Katastrophe führen. Das ist mein Hauptantrieb für meine Arbeit, meine Sehnsucht nach Zuversicht. Die Projekte und Menschen zu finden, die bereits andere Lebensweisen ausprobieren. So entdeckte ich zum Beispiel das Friedensforschungszentrum Tamera in Südportugal, die Friedensgemeinde von San José in Kolumbien, das Graswurzelprojekt um den indischen Wassergandhi Rajendra Singh und die Demokratische Selbstverwaltung in Nord- und Ostsyrien, auch Rojava genannt.
All diese Experimente für eine andere Welt inspirieren mich und lösen gleichzeitig immer wieder Zweifel aus. Ich lese Bücher, versuche zu verstehen, welche Umstände in diesen Gegenden herrschen, die solche Unterfangen dort ermöglichen. Ich beobachte meine Angst, dass sie scheitern könnten, und kam nun zu dem Schluss, dass meine Zuversicht nicht davon abhängig sein darf.
Und genau daran arbeite ich: An einem Journalismus, der in den Lesern den Muskel der Zuversicht stärkt und nicht ständig unbewusste Ängste triggert. Viele Journalisten sind sich wohl gar nicht bewusst, welche Macht sie haben und wie sehr sie die Gedanken und somit das Handeln ihrer Leser oder Zuschauerinnen beeinflussen. Und wie oft sie ihre eigene Wahrnehmung mit einer objektiven Wirklichkeit verwechseln. Ich übe auch immer wieder Selbstkritik an unserer Arbeit, denn wir verbreiten auch Angst. Ich wünsche mir Selbstreflexion auch bei unseren Autoren. Die Überlegung, was sie mit ihren Texten erreichen wollen oder zumindest das Bewusstsein dafür, was ihr Text in den Lesern auslöst.
Natürlich bleibt die Frage: Wie können wir auf gefährliche Entwicklungen aufmerksam machen, ohne Ängste zu schüren? Ich habe keine Antwort darauf. Ich kann andere Menschen nicht ändern und somit komme ich immer wieder zum selben Fazit: Nur ich selbst kann den Journalismus so umsetzen, wie ich ihn mir wünsche, und da bin ich als Mitherausgeberin und Redakteurin bei Manova genau richtig.
Unsere Leserzahlen sind relativ stabil und wir fragen uns immer wieder, wie wir mehr Menschen erreichen können. Schreiben wir am Ende nur für Leser, die sowieso schon so denken wie unsere Autoren oder können wir auch informationsblasenübergreifend Brücken bauen? Diese Fragen beschäftigen uns immer wieder. Manchmal schreiben uns Menschen wütend, wenn sie einen Artikel bei uns finden, der nicht ihrer Meinung entspricht. Da kam uns die Idee zu unserem Debattenraum (3). Wir laden sie dann ein, eine Replik zu schreiben, und sich mit den Argumenten, die sie so wütend machen, auseinanderzusetzen, anstatt sie canceln zu wollen. Die Freude am respektvollen Diskutieren! Welch eine Möglichkeit zur Selbsterkenntnis! Und so können Leser auch verschiedene Standpunkte zu einem Thema nebeneinander im selben Medium finden:
„Niemand kann die ganze Wahrheit für sich in Anspruch nehmen. Wer dies behauptet, wird dogmatisch und unflexibel, behindert den Wahrheitsfindungsprozess eher, als dass er ihn fördert. ‚Zusammen sind wir klüger‘ – mögliche Schwachstellen des anderen können ausgeglichen, scheinbare Gegensätze können gegeneinander abgewogen, verstrittene Lager zusammengeführt werden. Dies geschieht jedoch nicht durch einen verordneten Kompromiss, sondern durch einen lebendigen Dialog und eine gewisse weltanschauliche Bandbreite. Der Manova Debattenraum ist ein Forum, das verschiedene Positionen zu einem Thema einander gegenüberstellt und dadurch Orientierung beim Finden des eigenen Standpunkts bietet.“
Mein Traum ist, dass Manova sich noch mehr etabliert, mehr Leser und Autorinnen sich zum Debattieren berufen fühlen, wir zum Nachdenken anregen. Dass unsere Leserinnen so begeistert sind, dass sie uns weiterempfehlen. Manchmal ist es frustrierend, so viel Arbeit in einen Artikel zu stecken, ihn zu veröffentlichen und schnell hinter neuen Texten nach unten rutschen zu sehen. Wir kritisieren die Informationsflut und tragen selbst dazu bei, um die Monokultur der Leitmedien etwas vielfältiger zu machen, auf dass der Boden des Bewusstseins bei den Menschen fruchtbar bleibt und eigene Gedanken aus ihm erwachsen.
Möge Manova dazu beitragen. Ich bedanke mich bei all unseren Unterstützern dafür, dass sie uns lesen und vielleicht sogar spenden. Gemeinsam erschaffen wir ein Medium nach unserem Anspruch und gehen einen ersten Schritt in Richtung Selbstermächtigung.
Redaktionelle Anmerkung: Dieser Text erschien zuerst in der Schweizer Publikation „Das Blatt“, Ausgabe #48 Pioniere, Seite 8 und 9.