von Sabine Lichtenfels (mit redaktioneller Unterstützung von Elisa Gratias)
Sonntag, 10. November
Die Gruppe, die mit Rajendra und einigen Mitgliedern der Gemeinschaft mit den Pferden unterwegs war, kommt beglückt zurück. Sie hatten einen wundervollen Tag in der Natur. Mit Baden im Fluss und viel Humor wurde ihr Tag zu einer beglückenden Gemeinschaftserfahrung. Es ist immer wieder bewegend, wie nah hier Schmerz und Lebensfreude beieinander liegen, immer bereit für Überraschungen.
Am Abend treffen wir den Consejo. Hier fühle ich wieder die Last der aktuellen Situation. Die seelische Belastung wächst und die Gemeinschaft wird immer kleiner. Sie können die verschiedenen Ländereien, die zur Gemeinschaft gehören, kaum noch schützen, da sie überall bedroht werden. Immer mehr ihrer kleinen Siedlungen in den Bergen werden von anderen besetzt. Illegale Rodungen für die Viehzucht, Straßenbau für den Abtransport des illegalen Bergbaus und vieles mehr sind die Gründe dafür. Die Comunidad de Paz erlebt viel Neid, weil sie gute Partner für die Abnahme von Kakao haben, der gerade den höchsten Preis seit Langem hat. In gewisser Weise leben sie ständig in Lebensgefahr. Durch die Verlockung des Geldes wechseln immer mehr Bauern in der Region über zum Paramilitär oder kooperieren mit ihm, vielleicht auch, weil sie ihnen einzeln ohne Gemeinschaft machtlos ausgesetzt sind. Die Leute hier wollen Tourismus und Kauf kleine Fincas, all das ist in ihrem Interesse und die Gemeinschaft ist ihnen da lästig.
German betont immer wieder, dass sie ihren Weg weiter gehen werden: „Sie können weiterhin einzelne Menschen umbringen, aber was sie nicht umbringen können ist, unsere Ethik und den Geist der Gemeinschaft, wofür wir angetreten sind.“ Er wirkt müde aber entschlossen.
Arley erzählt mit bewegenden Worten, wie notwendig die richtige Ausbildung für die Jugend ist. Er berichtet von den Schwierigkeiten durch die neuen Technologien und soziale Medien auch hier in der Gemeinschaft. Immer mehr zieht die Handykultur ein. Sie würden gern Menschen nach Tamera schicken, wenn es ein Treffen für Jugendausbilder geben wird. Sie würden auch gerne Menschen nach Tamera senden, wenn es eine Art Sommeruniversität geben wird.
Natürlich werden wir auch gefragt: „Wann kommt ihr wieder? Es stärkt uns und gibt uns sehr viel Mut, wenn wir zusammen sind!“
Rajendra und ich werden gebeten, noch einen Film zu machen über ihre Funktion für den Schutz der Biodiversität in der Gegend und uns damit auch an die Regierung und entsprechende Instanzen zu wenden.
Sie machen uns viele Vorschläge, wie wir ihre Situation unterstützen können. Ein ganz zentraler Wunsch, den sie schon oft genannt haben: Sie wünschen sich mehr internationale Präsenz. Wie können wir das unterstützen? Eine gewisse Furchtlosigkeit, Spanischkenntnisse und Menschenkenntnisse, auch eine Verständnis für das Prinzip der Gewaltfreiheit sind aus unserer Sicht eine Voraussetzung dafür, dass Besucher für sie wirklich eine Unterstützung sind. Gleichzeitig erzählt uns Arley von Beispielen, wo Menschen, die kaum Ahnung hatten, einfach zu ihnen kamen und sehr schnell gelernt haben.
Tamera ist für sie sehr zentral. Sie betonen immer wieder, wie wichtig ihnen die Verbindung zu unserer Gemeinschaft ist und, dass sie ohne uns den Weg bis hierher nicht hätten gehen können.
So kreisen meine Gedanken auch um Tamera, um die Situation bei uns. Ich denke an einen politischen Sommer, wo wir unsere Kooperationspartner einladen und uns auf die nächsten Schritte unseres gemeinsamen Weges besinnen.
Montag, 11. November
Abreisetag für mich. Gleichzeitig der Tag vom Ring der Kraft zum Thema der „heiligen Männlichkeit“.
In der Morgenmeditation nehme ich noch einmal die Schwingungen des Ortes auf, und fühle die Realität unserer ursprünglichen Vision der Heilungsbiotope, sehe aber auch, was für ein Weg noch vor uns liegt, um die Manifestationskräfte der heiligen Matrix in uns und in der Welt zu aktivieren.
Es ist überall notwendig vorzudringen an den Kern, wo es uns gelingt, die Quelle in uns zu aktivieren.
Ich danke all den Männern auf dieser Erde, die sich entschlossen haben, im Dienst am Leben ihren Weg zu gehen, das alte Männerbild von Härte, Heldentum und auch den Krieger zu verlassen, stattdessen Fürsorge und Richtung zu geben, Denkkraft, Präzision und Anteilnahme einzusetzen, um eine Vision sichtbar zu machen für eine andere Art, diesen Planeten zu bewohnen.
Ich bin dankbar für die Männer in meinem Leben, die mir auch den Mut geschenkt haben, meine wahre Weiblichkeit anzunehmen und zu entdecken, die nichts mit den heteronormativen Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit zu tun hat. ES sind reine Quellen, die wir in uns selbst entdecken können.
Unsere gemeinsame Morgenmeditation, wo wir immer wieder in den „Quellen der Liebe und der Friedens“ lesen oder auch in Delons neuem Text, geben uns Kraft und Orientierung.
Ich möchte hier den Einsatz von Indra hervorheben, der als Friedensaktivist und Friedensjournalist sein ganzes Know-how einsetzt, um medienwirksam handeln zu können. Er sorgt dafür, dass wir die bitte des Consejos schnell in die Tat umsetzten und den Kurzfilm zur Biodiversität noch fertig stellen, bevor wir die Gemeinschaft verlassen. Ich bin beeindruckt von seiner schnellen und präzisen Art des Vorgehens.
Gegen Mittag verlassen wir die Comunidad de Paz de San José. Alle meine Genossinnen von Tamera und auch Elisa bleiben in der Friedensgemeinschaft, ich bin die einzige, die gemeinsam mit der „Defend the Sacred“-Allianz (DSA) und zwei Mitgliedern der Gemeinschaft den zweiten Zeil der Reise in die Sierra Nevada de Santa Marta zu den Arhuacos im Norden des Landes antritt.
„Schicke Vertrauen voraus …“, heißt mein Kraftsatz, denn ich habe mich aus der Organisation dieser Reise vollkommen rausgehalten. Es beginnt recht chaotisch, und wir nehmen es mit Humor.
Bei einem letzten gemeinsamen Mittagessen mit unserer Tamera-Gruppe in einem Restaurant in Apartadó, stellt unser Begleiter aus der Comunidad de Paz fest, dass er seinen Pass im Kopierer vergessen hat. Ein Mototaxi bringt ihn gerade noch rechtzeitig. Beim Einchecken merken wir, dass eine falsche Passnummer in meinem Ticket eingetragen und auch der Name nicht korrekt ist, aber das lässt sich alles leicht klären. Unser Flug hat Verspätung und wir verbringen die Zeit mit lebendigen Gesprächen. Kurz vor Abflug erfahren wir, dass unser Flugzeug auf einem anderen Flughafen landet, als ursprünglich angegeben.
Trotz dieser Schwierigkeiten bleiben wir beim Humor. Helena entpuppt sich als die „geborene Reiseleiterin“, obwohl das ursprünglich gar nicht ihre Rolle ist. Sie ist immer gut gelaunt und bereit zu übersetzen und ich sehe sie immer in Dienstbereitschaft.
Am Abend, es ist bereits dunkel, landen wir in Medellín. Ein Taxi holt uns ab und bringt uns zu einem Restaurant. Was für ein Wechsel in die Welt des Lärms, der sogenannten Kultur und des Konsums.
Wir werden von den Gastgebern empfangen und sie nennen uns alle die Vorteile des Ortes, an dem wir unterkommen werden.
Es ist später Abend, als wir an diesem Ort außerhalb der Stadt ankommen, an dem viele Zeremonien stattfinden, in gewisser Weise ein „Freak-Wellness-Retreat“. Die Temperatur ist mächtig gesunken und wir müssen uns an die neuen Klimaverhältnisse anpassen. Kleine Hütten stehen als Zimmer für uns bereit. Schlicht und etwas kalt.
Helena und Indra kümmern sich rührend um mich. Sie sorgen dafür, dass wir eine gute Bleibe bekommen und Helena besteht darauf, dass ich ein Zimmer für mich beziehe, das ursprünglich für zwei Personen gedacht war.
Ich bin vor allem müde und erschöpft und in meiner Seele arbeitet es weiter. Sie sucht nach Antworten auf die Frage, wie wir für die Friedensgemeinschaft Schutz bewirken können. Auch Rajendra ist sehr mit dieser Frage beschäftigt und sagt immer wieder: „Wenn wir hier helfen können, so ist das meine oberste Priorität.“ Wir sind bereit, unsere Reise jederzeit zu unterbrechen, falls zum Beispiel Gloria in Bogotá wichtige Treffen für uns arrangieren möchte.
Rajendra ist der Ansicht, dass in den kommenden 10 Jahren der Mangel an Wasser und zunehmende Wasserkatastrophen auf uns zukommen werden, und dass neben allen Menschenrechtsfragen die „Wasserrechtsfrage“ DIE zentrale Rolle spielen wird, und dass es deswegen eine hohe globale Notwendigkeit des Zusammenschlusses geben wird.
Gegen 23 Uhr schlafe ich ein, müde und erschöpft aber auch bereit für alles Kommende.
Dienstag, 12. November
Am frühen Morgen – ich habe gerade meine Morgenmeditation abgeschlossen – kommt Indra zu mir. Er sucht Kontakt. Er erzählt mir, dass Rajendra in der Nacht um Hilfe gerufen habe und dass sie ihn noch vor Morgengrauen in ein anderes Zimmer gebracht haben.
Er war sehr kurzatmig und Indra ist empört darüber, dass sich die Organisation nicht früh genug darum gekümmert hat, dass die „Elders“ gut umsorgt sind. In ihrer Tradition hat das die oberste Priorität.
Ich fühle, dass dies ein Tag mit vielen seelischen Bewegungen wird. Neue Menschen kommen an, zum Teil Menschen, die ich noch nie gehen habe, gleichzeitig muss eine Gruppe von uns noch die vielen Eindrücke der letzten Tage verdauen. Mögen wir gut geführt sein.
Mir hilft der Kraftsatz aus den Quellen der Liebe: „Das Göttliche ist immer einfach, alles andere ist kompliziert.“
Ich werde mich zum Frühstück begeben und bin gespannt auf die „Wellen“ dieses Tages.