von Sabine Lichtenfels (mit redaktioneller Unterstützung von Elisa Gratias)
Montag, 28. Oktober
Der erste Morgen in Bogotá.
Am frühen Morgen sitze ich im idyllischen Innenhof voller Pflanzen für die Morgenmeditation. „Transformation des Kriegers“ ist der Hinweis für die Woche. Um mich herum die ersten Vögel, ein kleiner Fink begrüßt mich.
Die Transformation des Kriegers ist mein Lebensthema. Ich halte die Lebenspraxis weiter aufrecht, jeden Morgen drei Hinweise für den Tag zu empfangen:
„Stell dir vor du bist eine außerirdische Person, fest verankert in der Friedensmatrix. Wie verhältst du dich, wenn du in der Kriegsmatrix gelandet bist?“
Ich greife das Bild auf, ein Mikrokosmos im Makrokosmos zu sein, und mit diesem Bild gehe ich in den Tag. Krieg ist wie ein Virus, der ganze Volksgruppen hinwegrafft, höchst ansteckend.
„Wie verhältst du dich, wenn du dich nicht anstecken möchtest, im Gegenteil, wenn es dein Ziel ist, diese Krankheit zu heilen? Ein hochrangiges Abenteuer. Beginne jeden Tag so, dass du bereit bist, die nötigen Informationen zu erhalten. Bist du bereit für dieses Abenteuer?“
Ich trinke meinen Morgentee, beobachte die Vögel, und schreibe die ersten Gedanken auf. Parallel singt unsere Gastgeberin Margarida ihre Morgenmantras vom Agnihotra-Feuer. Das ist ihre Morgenpraxis, um den Tag zu beginnen. Anschließend lädt sie mich ein, meine Füße zehn Minuten ins kalte Wasser zu tauchen. „Gut gegen jede Art von Entzündung“, sagt sie. Sie hat immer neue Gesundheitstipps. Jetzt ist sie inspiriert von Wim Hoff. Nach den Eingaben des Morgens mache ich gerne mit.
Am Abend: Ein anstrengender Tag liegt hinter uns. Unser kleiner Gruppenkörper beginnt sich zu formen. Mir macht die Höhe zu schaffen, und die vielen formalen Dinge, die wir zu erledigen haben – Telefonkarten besorgen und vieles mehr …
In dem Text „Transformation des Kriegers“ aus dem Steinkreisbuch spricht der transformierte Krieger zu uns:
„In der göttlichen Gegenwart existiert nur der Friede. Darin hebt sich alles andere auf. Konflikte werden immer auf einer höheren Ordnungsebene gelöst. Ich bin gekommen, um in den Bewusstseinsraum zu führen, wo Krieg beendet werden kann.“
Bemerkenswert war unser Besuch bei Gloria Cuartas. Zur Begrüßung weint sie. Uns verbindet eine lange Geschichte. 1995 wurde Gloria in Apartadó Bürgermeisterin für den Frieden und war wesentlich an der Gründung der Comunidad de Paz de San José beteiligt. Heute ist sie als neue Leiterin der Stabstelle „Unidad para la implementación del Acuerdo de Paz“ für die Umsetzung des Friedensabkommens von 2016 von der kolumbianischen Regierung eingesetzt, um Wahrheits- und Versöhnungsgespräche im Land zu organisieren.
„Im Zentrum meiner Politik stand das Leben, das ich mit allen Kräften nach Apartadó zurückbringen wollte. Frieden ist nicht das Gegenteil von Konflikten. Eine Gesellschaft ist dann friedlich, wenn sie gelernt hat, Probleme intelligent zu lösen anstatt mit Waffen.“
Das sagte sie 1995, als sie ihr Amt antrat und diese Einstellung zeichnet sie bis heute aus. Sie macht ihre Arbeit mit viel Herz. Das Gespräch mit ihr räsoniert absolut mit unserer Wochenkarte.
Ihre Mitarbeiterinnen empfangen uns freundlich und Gloria beginnt in ihrer herzlichen und entschlossenen Art über ihre Arbeit zu sprechen. Sie nennt die wichtigsten Anliegen ihrer Arbeit und wir spüren in ihren Erzählungen, dass sie dem jetzigen Präsidenten Gustavo Petro sehr vertraut.
Trotz einer mächtigen Opposition haben sie ein umfassendes Friedensprogramm entwickelt. Das klingt für meinen extraterrestrischen Standpunkt sehr einleuchtend, für einen irdischen Realisten wahrscheinlich ziemlich weltfremd. Das Misstrauen gegenüber Politikern sitzt tief in der Seele, aber hier scheint wirkliches menschliches Interesse vorzuliegen.
Ich erwähne hier ein paar zentrale Punkte, die sie nennt: Im Zentrum steht der Gedanke, mit der Natur zu kooperieren und enteigneten Bauern mithilfe einer Landreform ihr Land zurückzugeben. Gemeinsam soll gelernt und erfahren werden, wie wir die Werte der Natur anerkennen. „Es geht darum, die Natur als Subjekt anzuerkennen, anstatt sie wie bisher als Objekt zu behandeln“, sagt ihre Assistentin.
Ein weiterer zentraler Punkt für sie ist die Entstigmatisierung der verschiedenen Gruppen wie Guerilla, Paramilitär, Militär und Bevölkerung. Weiterhin hat sich eine Art von Wahrheitskommission nach dem Vorbild Südafrikas gebildet, die versucht, mit anderen Methoden als mit Strafen die Wahrheit ans Licht zu bringen. Sie nennt als einen wesentlichen Aspekt die Bildung dezentraler Gemeinschaften als eine Kernbasis für eine neue Gesellschaftsstruktur.
Dienstag, 29. Oktober
Wir genießen unsere Pension in Bogotá. Mir macht die Höhenluft noch immer etwas zu schaffen. Morgens beschließen wir, mit der Seilbahn zur schwarzen Madonna auf den Monserrate hochzufahren. Das ist für uns bereits zu einem Ritual geworden. Wir besuchen diesen Ort auf jeder Kolumbienreise und so stören uns die Touristen nicht.
Wir meditieren eine Weile vor der schwarzen Madonna, bewundern die neue Statue draußen vor der Kirche auf der Bank, wo Jesus als Obdachloser dargestellt ist. An einem abgelegenen Ort in der Natur auf circa 3.200 m Höhe machen wir unser kleines Dankesritual. Jetzt sind wir wirklich angekommen hier in Kolumbien. Den Rest des Tages geht jeder seiner Wege. Ich selbst habe einen Zoomcall mit der deutschsprachigen Gruppe „Vision für den Frieden in Gaza“.
Mittwoch, 30. Oktober
Wir reisen über Medillín nach Apartadó.
Wir haben Glück, dass der Flug überhaupt geht, denn in Apartadó gibt es starke Regenfälle. Als wir ankommen, ist es bereits dunkel. Wir werden informiert, dass wir auf ein Taxi warten müssen, da es einen größeren Unfall gab.
Nach etwa dreißig Minuten kommt ein sehr sympathischer Taxifahrer, lädt unser Gepäck ein und wir machen uns auf den Weg. Wir sind gerade im Gespräch darüber, dass es so schwierig war nach Rojava zu reisen und dass Salim aus Afrika wahrscheinlich kein Visum bekommt. In diesem Moment knallt es laut in unserem Rücken. Ein großer Lastwagen ist hinten auf unser Taxi geprallt. Der Taxifahrer kann gerade noch das Steuer herumreißen und wir fliegen in eine Böschung.
Wir wissen nicht, ob wir noch leben würden, wenn er nicht so schnell und klar reagiert hätte. Im Moment fällt mir ein Bericht noch etwas schwer.
Viele hilfsbereite Leute sind sofort zur Stelle. Ich selbst habe mir stark den Kopf angestoßen und bin blutüberströmt. Zwei junge Männer bringen uns an dem umgekippt quer über beide Fahrbahnen liegenden LKW vorbei zu einem Bus, der uns sofort ins Krankenhaus fährt. Es ist schwer zu beschreiben, aber in mir bleibt trotz der starken Schmerzen alles ruhig und klar. Das Personal in der Klinik ist sehr hilfsbereit. Die anderen sind unverletzt. Wir fühlen uns umgeben von Helferkräften.
Andrea (Phoebe) leistet mit ihren Spanischkenntnissen großen Einsatz, damit ich sofort behandelt werde. Die Ärzte untersuchen mich mit verschiedenen Apparaten. Es ist kein Schädelbruch festzustellen und so komme ich mit einer Platzwunde, die genäht wird, und vermutlich einer kleinen Gehirnerschütterung davon.
Interessanterweise wurde ich morgens in meiner Morgenandacht gewarnt, dass an diesem Tag etwas eher Unangenehmes passieren wird und ich nicht vergessen soll, dass auch dies unter Führung geschieht. Das hilft mir und uns sehr, verbunden und in der Ruhe zu bleiben.
Wir verbringen eine Nacht in einem kleinen Hotel. Die Friedensgemeinschaft hat sich versammelt, um für uns zu beten und Ledys kam extra aus der Gemeinschaft zu uns nach Apartadó und verbringt die Nacht gemeinsam mit uns im Hotel. So fühlen wir uns enorm geborgen und umsorgt.
Dies alles geschieht an unserem sogenannten Ahnentag. Und interessanterweise träumte ich in der Nacht von Eduar Lanchero, eine tragende Person für die Gemeinschaft, der 2012 verstorben ist.
Donnerstag, 31. Oktober
Nach einer relativ ruhigen Nacht und einem Einkauf in Apartadó, fahren wir gegen Mittag in die Friedensgemeinschaft. Wir werden sehr herzlich empfangen. Neben aller Bedrohung, in der sich die Gemeinschaft befindet, erleben wir diesen Ort immer wieder als eine Oase der Kraft und des wirklichen Friedens.
Die ersten Frauen der Gemeinschaft kommen zu uns. Brigida, eine der „Stammesältesten“, begrüßt uns mit herzlicher Umarmung und wir führen erste Ankommensgespräche. Wir sind gut umsorgt.
Wir fühlen uns wie in einem Fünfsternehotel und hören den Regen auf unser Blechdach trommeln. Elisa, Katja und Andrea sorgen dafür, dass alles wohnlich wird. Mit Nägeln, Brettern und Ziegelsteinen richten sie uns eine gemütliche Wohnung ein mit Tischen und Regalen.
Ich selbst bin noch ein bisschen in Halbtrance und liege viel. Nach all den Ereignissen und Erledigungen sind auch die anderen drei am frühen Abend erschöpft. Bereits um 20 Uhr liegen wir alle in den Betten und machen das Licht aus. Wir hören die Tiergeräusche und den Regen um uns herum.
Freitag, 1. November
Am frühen Morgen um 3 Uhr höre ich die ersten Motorräder und Männerstimmen neben unserem Haus, das direkt hinter dem Eingangstor liegt. Gegen 5 Uhr erwachen die ersten Menschen im Dorf.
Etwa 7 Uhr begrüßt uns Arley, eines der tragenden Mitglieder der Gemeinschaft. Er erzählt uns in kurzer Fassung von den geplanten Tagen während der Bauernuniversität, die ab Montag stattfinden wird. Es kommen verschiedene Friedensinitiativen und auch indigene Vertreter sind eingeladen.
Es geht ihnen um eine Solidaritätsbewegung, die sich nicht nur lokal, sondern auch global einsetzt, um den imperialistischen Strukturen zu entkommen. Sie setzen sich für das Leben und auch für alle unterdrückten Völker ein, vor allem für diejenigen, über die kaum jemand etwas weiß, da über sie kaum in der Öffentlichkeit berichtet wird. Ein Tag soll auch der Solidarität mit Palästina gewidmet werden. Arley und Marta, auch ein Mitglied der Friedensgemeinschaft, nahmen 2005 auch an unserer Friedenspilgerschaft im Nahen Osten (Fertile Crescent) teil.
Am frühen Abend kommt unsere Delegation von Defend the Sacred an und es gibt eine herzliche Begrüßung.
Bis zum nächsten Eintrag.