Das südamerikanische Land wird von brutalen Paramilitärs terrorisiert. Eine kleine Gemeinschaft hat sich konsequent dem Prinzip der Gewaltfreiheit verschrieben – derzeit werden sie erneut bedroht.
Jahrzehnt für Jahrzehnt, Jahr für Jahr, immer wieder das Gleiche. Das Morden, das Massaker, der Tod, die Vertreibung. Die Situation im Gebiet von San José de Apartadó im Norden Kolumbiens ist sehr schwierig. Vor 27 Jahren gründeten Menschen die „Comunidad de Paz de San José“, in der sie seitdem die Prinzipien von Solidarität und Gemeinschaft leben und mit dem Glauben, dass eine andere Welt möglich ist. Hier zählt das Leben der anderen mehr als das eigene Leben. Es geht um das kollektive Überleben. Vom 4. bis zum 9. November 2024 organisieren sie eine Universidad de Resistencia (auf Deutsch: Universität des Widerstands), zu der verschiedene indigene Gemeinschaften aus Kolumbien und einige internationale Delegationen zusammenkommen, um sich zu den Herausforderungen im Land und in der Welt auszutauschen und gegenseitig zu bestärken. Gleichzeitig erhalten sie Morddrohungen gegen einige Mitglieder der Gemeinschaft. Elisa Gratias ist vor Ort und berichtet.
San José de Apartadó liegt in einem Gebiet mit vielen natürlichen Ressourcen. Es gibt Kohle, Gold, Öl und Wasser. Das weckt enorme Interessen für multinationale Konzerne. Außerdem kontrollieren Paramilitärs das Gebiet. Diese bewaffneten Gruppen finanzieren sich aus dem Drogenhandel und Schutzgeldern, die sie der Bevölkerung auferlegt haben, erklärte Arley Tuberquia mir in einem Manova-Interview im April dieses Jahres am Telefon.
Der aktuelle Präsident Gustavo Petro „möchte das Land an einen Punkt bringen, an dem das Leben geachtet wird, an dem die Gewalt ein Ende hat, an dem es keine Toten, keine Massaker mehr gibt. Das ist eine gute Initiative, aber es gibt einen Teil des Landes, der sich von Blut ernährt, so auch das Gebiet um Apartadó.“
In den 27 Jahren seit der Gründung der Friedensgemeinschaft, die überregionale Bekanntheit erlangte und 2007 den Aachener Friedenspreis erhielt, wurden etwa 400 Mitglieder von ihnen ermordet und diese Verbrechen nie strafrechtlich verfolgt. Inmitten dieser schrecklichen Szenarien der Bedrohung ist es ihnen gelungen, ein anderes Leben im Einklang mit der Natur aufzubauen und das Ökosystem, in dem sie leben, zu schützen. Ein weiterer Erfolg besteht darin, dass viele Jugendliche in der Gemeinschaft geblieben sind, ohne zur Gewalt gegriffen zu haben.
Vom 4. bis zum 9. November 2024 findet hier die Universidad de Resistencia mit einen intensiven Ausbildungsprogramm statt, in dem die verschiedenen Gemeinschaften sich vorstellen und über die Schwerpunkte ihrer Aufgaben sprechen. Es wird um Paramilitarismus gehen, um Umweltschutz, Gemeinschaftsbildung, die Verbindung zwischen lokalen und globalen Konflikten und die Solidarität mit allen Menschen in den Konfliktgebieten überall auf der Welt. Wir erlernen dadurch den Zusammenhang zwischen globalen und lokalen politischen Verhältnissen.
Zu diesem Anlass bin ich mit drei Frauen aus der Friedensgemeinschaft Tamera in Portugal vor Ort, um zu dolmetschen und mir selbst ein Bild von der Lage hier zu machen. Auch der „Wassermann aus Indien“ Rajendra Singh ist angereist, um sein Wissen zur Heilung der Natur zu vermitteln und sich mit den Menschen hier auszutauschen.
Wir trafen bereits vor ein paar Tagen ein und haben erste Gespräche mit den Mitgliedern des Friedensdorfes und dem 80-jährigen Wissenschaftler, Menschenrechtsaktivisten und Jesuitenpriester Javier Giraldo geführt, der eine wichtige Rolle bei der Gründung dieser Gemeinschaft vor über 27 Jahren spielte und sie seitdem intensiv begleitet.
Die Situation in Kolumbien und vor allem in der Region Antioquia in der Nähe der Grenze zu Panama ist sehr komplex und immer wieder werden auch heute noch soziale Aktivisten ermordet und bedroht.
So erfuhren wir in diesen Gesprächen, dass ein Angriff auf einige Mitglieder der Gemeinschaft durch das Paramilitär geplant ist, der als Raubüberfall getarnt werden soll. Aus diesem Grund begleiten viele Organisationen sie ständig oder besuchen sie immer wieder – wie auch die Mitglieder von Tamera. Das macht die Friedensgemeinschaft und ihren gewaltfreien Weg sichtbarer und in gewisser Weise ist dies zu einer Form der Unterstützung und des Schutzes für die Friedensgemeinschaft geworden.
„Das zentrale Thema ist hier das Ziel der Ermordung, das Ziel, diejenigen loszuwerden, die ihre Strategien des Todes nicht teilen. Das ist uns als Gemeinschaft klar, und deshalb werden wir als Gemeinschaft weiter kreativ für das Leben eintreten, dafür, dass eine Welt ohne Gewalt und ohne Krieg möglich ist“, sagte Arley Tuberquia im April. Nun erlebe ich ihn und seine Mitmenschen hautnah und möchte sie mithilfe von Sichtbarkeit unterstützen.
Es ist schwer auszuhalten und an die Vision der Friedensgemeinschaft zu glauben, wenn ich hier erkenne, wie übermächtig ihre Gegner sind. Gleichzeitig fühle ich mich bei ihnen dem Frieden und dem Leben näher als je zuvor. Es ist eine Wohltat von Menschen umgeben zu sein, denen der Kampf um eine andere Welt wichtiger ist als Geld oder das nackte Überleben als Vertriebene. Sie treten für etwas ein und das schenkt ihnen Lebensfreude und Kraft, mit all dem Schmerz und den Bedrohungen umzugehen und in einem Land voller Gewalt ein würdevolles, selbstermächtigtes Leben zu leben.
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Redaktionelle Anmerkung: Dieser Text erschien auch auf manova.news.